Nachricht 4. September 2024

Rede von Christian Sewing beim Handelsblatt Banken-Gipfel 2024

– Es gilt das gesprochene Wort –

Liebe Frau Bastian, liebe Frau Gode, lieber Herr Matthes,
meine Damen und Herren,

ich freue mich, heute wieder bei Ihnen zu sein – im „Jahr der Entscheidungen“, wie Sie es selbst bezeichnen.

Das Motto ist sehr gut gewählt – mit Blick auf das Superwahljahr, das im November in den USA seinen Höhepunkt erreicht, aber auch angesichts des herausfordernden geopolitischen Umfelds, das entscheidende Weichenstellungen verlangt – in Europa und in Deutschland ganz besonders.

Handelsblatt-Banking-Summit-2024

Christian Sewing im Interview mit Chefredakteur Sebastian Matthes beim Handelsblatt Bankengipfel 2024

Wir alle stehen noch unter dem Eindruck der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen am Wochenende. Ich bedauere den starken Zulauf für Parteien mit extremen Positionen und hätte mir – wie sicher die allermeisten von uns – einen anderen Ausgang gewünscht. Ich möchte jetzt gar nicht über mögliche politische Konstellationen sprechen. Aber wir sollten uns dringend darüber unterhalten, was das Wahlergebnis und seine Ursachen für unseren Standort und sein Ansehen bei Investoren bedeuten. Wir müssen dieses Wählervotum als Weckruf begreifen, um nun endlich gegenzusteuern: Wir müssen den Menschen zeigen, dass die Lösung für ihre Probleme in der gesellschaftlichen Mitte liegt und nicht an ihren Rändern. Dazu gehört für mich ganz klar, dass Deutschland dauerhaft wettbewerbsfähig bleibt, dass wir unseren Wohlstand langfristig sichern und international nicht den Anschluss verlieren.

Die Fähigkeit zu wachsen ist die Grundlage unseres Wohlstands und die Basis dafür, dass unser Sozialstaat funktioniert. Deswegen gilt es, nun endlich die Reformen für künftiges Wachstum umzusetzen. Wann, wenn nicht jetzt, ist die Zeit für einen großen Wurf?
Christian Sewing

Der Rest der Welt blickt schon seit einiger Zeit immer skeptischer auf Deutschland. Investoren zweifeln an unserer Reformfähigkeit, aber auch an unserer Leistungsfähigkeit und unserem Leistungswillen. Das ist bereits alarmierend. Aber hinzu kommt jetzt die Sorge um die politische Stabilität. Die war – neben unseren exzellenten Unternehmen – stets eines der stärksten Argumente, um hier zu investieren. Damit konnten wir andere Nachteile des Standortes kompensieren. Jetzt aber ist dieses Argument in Frage gestellt.

Und es sind ja nicht nur die Investoren, die Antworten fordern. Es sind auch die Wähler. Ihre Verunsicherung und ihr Wunsch nach zukunftsfähigen Konzepten, die sie derzeit bei den etablierten Parteien nicht sehen, macht solche Wahlergebnisse erst möglich. Und so unterschiedlich die Bedürfnisse und Sorgen von Wählern und Investoren auch sein mögen, es gibt eine – eigentlich sehr simple – Antwort, die für beide Gruppen zentral ist: Wachstum.

Die Fähigkeit zu wachsen ist die Grundlage unseres Wohlstands und die Basis dafür, dass unser Sozialstaat funktioniert. Deswegen gilt es, nun endlich die Reformen für künftiges Wachstum umzusetzen. Wann, wenn nicht jetzt, ist die Zeit für einen großen Wurf? Die Stichworte sind bekannt: Es geht um bezahlbare Energie, Bürokratieabbau, angemessene Regulierung, moderne Infrastruktur und bessere Finanzierungsbedingungen.

Mit Reformen alleine ist es aber nicht getan. Entscheidend ist für mich, dass wir uns wieder darauf verständigen, dass Wachstum etwas Positives, ja, eine Notwendigkeit ist. Das vermisse ich an vielen Stellen, in Deutschland und Europa gleichermaßen. Ein Potenzialwachstum von 0,4 Prozent, wie es der Sachverständigenrat für die deutsche Wirtschaft sieht, darf nicht unser Anspruch sein. Wir brauchen ein Vielfaches davon, um Schritt zu halten.

Das wird aber nur gelingen, wenn wir auch unsere Haltung zur Arbeit ändern; wenn wir bereit sind, mehr und härter zu arbeiten. Hierfür brauchen wir endlich mehr Anreize, die Arbeit und Leistung honorieren. Wenn beispielsweise ein Mindestlohn von 15 Euro dazu zählt, sollten wir das prüfen. Aber ebenso bzw. umso mehr müssen wir anerkennen, dass wir die Wochen- und Lebensarbeitszeit erhöhen müssen. Mit durchschnittlich 28 Stunden pro Woche und Rente mit 63 werden wir es nicht schaffen.
Es muss ein Umdenken her – und hier sind auch die Wirtschaft und wir als Banken gefordert: Wir müssen genau dieses Umdenken noch lauter und vehementer einfordern. Es geht hier auch um die Reputation und die Zukunftsfähigkeit des Standorts, und dafür tragen wir alle Verantwortung.

WO STEHEN DIE BANKEN?

Denn wir als Finanzbranche sind – davon bin ich überzeugt – ein unverzichtbarer Faktor, wenn wir unseren Standort wettbewerbsfähig halten wollen. Banken und Kapitalmärkte sind entscheidend, wenn es darum geht, Risiken zu managen, Investitionen zu finanzieren und damit letztlich Wachstum zu ermöglichen. Dieser Rolle müssen wir noch besser gerecht werden.

Damit möchte ich sicher nicht die Fortschritte in Abrede stellen, die unsere Branche in den vergangenen Jahren gemacht hat. Unsere Banken sind heute kerngesund und robust, wir haben die Profitabilität erheblich gesteigert. Und wir haben bewiesen, dass wir für unsere Kunden da sind, wenn sie uns brauchen.

Aber darauf dürfen wir uns nicht ausruhen. Wir müssen sehen, dass wir bei den zentralen Trends unserer Zeit auf der Höhe sind.


Trend 1: Digitalisierung

Das gilt zuallererst für das Thema Technologie. Dank der Möglichkeiten, die moderne Technologien wie künstliche Intelligenz, Blockchain und Cloud-Computing uns bieten, wird sich das Bankgeschäft gründlich wandeln. Wir werden in wichtigen Bereichen zu Plattformunternehmen werden, die Ökosysteme schaffen, die Kunden, Partner und Dienstleistungen nahtlos miteinander verbinden. Schließlich haben die vergangenen Jahre gezeigt, dass Fintechs mitnichten Banken ersetzen – sondern oft erst in Partnerschaften mit Banken ihr Potenzial entfalten können.

Diese Transformation bedeutet nicht nur die Digitalisierung bestehender Prozesse, sondern das völlige Neudenken des Bankerlebnisses. Und sie verlangt, dass wir aufgeschlossener gegenüber neuen Technologien sind und sie konsequent nutzen.
Die Beispiele sind zahlreich: Sie reichen von individualisierten Anlageempfehlungen dank der exponentiell wachsenden Verfügbarkeit von Daten bis hin zu signifikanten Verbesserungen im Handel mit Wertpapieren und Währungen. In diesem Segment, in dem mit Hilfe standardisierter Prozesse Transaktionen abgewickelt werden, ist Technologie seit jeher der Schlüssel zum Erfolg. Durch die Integration von Echtzeitanalysen, maschinellem Lernen und Automatisierung können wir Abläufe künftig weiter optimieren, Risiken reduzieren und unseren Kunden so erheblichen Mehrwert bieten.

Das Potenzial ist also enorm. Um es auszuschöpfen, reicht es aber nicht, die Technologie einzuführen. Wir müssen auch unsere Mitarbeitenden befähigen, die technologischen Möglichkeiten zu nutzen. Unsere Leute, ihre Erfahrung und ihre Expertise sind unser wichtigstes Gut. Ihre Aus- und Weiterbildung muss daher höchste Priorität haben.


Trend 2: Volatilität

Investitionen in die Qualität und Kompetenz unserer Mitarbeitenden sind auch deswegen so wichtig, weil ihr Rat in den kommenden Jahren noch viel mehr gefragt sein wird. Denn – und das ist der zweite Trend, den ich sehe – die Volatilität wird uns weiter begleiten. Die Welt, da dürfen wir uns nichts vormachen, wird kompliziert bleiben, sie wird geopolitisch womöglich sogar noch komplizierter.

In dieser Zeit ist erstklassige Beratung das A und O. Diese geht weit über das Produkt-Wissen hinaus. Unsere Kunden brauchen auch ein kompetentes Risikomanagement, um sich gegen Volatilität, Klima- und Cyberrisiken abzusichern. Und sie fragen zunehmend nach einer umfassenden Betreuung. Tendenziell konsolidieren gerade Unternehmenskunden derzeit ihre Bankbeziehungen. Sie setzen auf weniger, dafür aber tiefere Bankbeziehungen mit globaler Perspektive.

Die so entstehenden Verschiebungen im Markt werden noch dadurch verstärkt, dass Banken umfassend investieren müssen, um den Kundenbedürfnissen gerecht zu werden. Das begünstigt die großen Akteure und macht es umso wichtiger, dass es auch in Europa große Banken gibt, die diese Nachfrage bedienen können. Die weitere Stärkung des weltweiten Netzwerks, kombiniert mit Expertise vor Ort, ist daher elementar für Banken mit globalem Anspruch wie die Deutsche Bank.


Trend 3: Nachhaltigkeit

Ein weiterer Trend, für den wir weiter Expertise aufbauen müssen, ist Nachhaltigkeit. Ja, das Thema ist etwas aus dem Fokus gerückt, weil andere dramatische Nachrichten dominieren. Trotzdem legten im ersten Halbjahr nachhaltige Finanzierungen und ESG-Anlagen im Vergleich zum Vorjahr wieder zu. Das zeigt: Unsere Kunden verstehen, dass die grüne Transformation unserer Wirtschaft noch drängender geworden ist. Und wir als Banken haben die Aufgabe, sie dabei zu begleiten und insbesondere Unternehmen mit hohen CO₂-Emissionen bei ihrer Transformation zu unterstützen. Nur so werden auch wir unsere Netto-Null-Ziele erreichen.


Trend 4: Öffentliche Verschuldung

Neben rasantem technologischem Fortschritt, anhaltender Volatilität und notwendiger ökologischer Transformation gibt es noch einen vierten Trend, der die kommenden Jahre prägen und unsere Rolle als Banken noch zentraler machen wird – und das ist die hohe Verschuldung der öffentlichen Haushalte. Diese fällt zusammen mit einem stark steigenden Kapitalbedarf für Investitionen in Verteidigung, Künstliche Intelligenz oder Green Tech, den die öffentliche Hand unmöglich alleine stemmen kann.

Umso gefragter sind wir Banken: mit unserer eigenen Bilanz und mit anderen Kreditinstrumenten, insbesondere Finanzierungen über den Kapitalmarkt, die immer wichtiger werden. Dafür müssen wir uns wappnen, aber wir brauchen natürlich auch Unterstützung von außen. Wir brauchen eine Regulierung, die nicht immer mehr Kapital bindet, das uns für die Unterstützung der Wirtschaft fehlt. Und es wird höchste Zeit, dass die Politik die europäische Kapitalmarktunion nicht nur mit Worten, sondern auch mit konkreten Taten unterstützt. Und zwar nicht deshalb, weil es uns Banken nützt, sondern weil es für Europa kein besseres Wachstumsprogramm gibt als die Kapitalmarktunion.


FAZIT

Meine Damen und Herren, viele der Themen, die ich in den vergangenen Minuten angeschnitten habe, werden Sie in den nächsten zwei Tagen vertiefen – hier auf dem Bankengipfel ebenso wie auf der begleitenden Konferenz zur Künstlichen Intelligenz im Bankwesen. Eines sollten wir dabei nie vergessen, wenn wir über die Zukunft unserer Branche sprechen: Die Finanzindustrie ist eine strategisch wichtige Branche. Wir sind das Rückgrat unserer Wirtschaft. Und wir alle hier im Raum tragen gemeinsam die Verantwortung, dass wir dieser Bedeutung gerecht werden.

Gleichzeitig müssen wir dies in Berlin und Brüssel noch stärker unterstreichen, und als Präsident des deutschen und europäischen Bankenverbands sehe ich darin eine zentrale Aufgabe. Wir müssen klar machen, dass Europa ohne eine starke Finanzindustrie in dieser geopolitischen Lage noch mehr Schwierigkeiten bekommen wird; ebenso müssen wir klarmachen, dass wir uns ohne global relevante Banken zu sehr von ausländischen Anbietern abhängig machen; und dass internationale Investoren künftig einen Bogen um uns machen werden, wenn wir keinen Finanzplatz haben, der mit New York, London und Singapur mithalten kann.

Gemeinsam können wir daran arbeiten, dass Europas Finanzindustrie eine gute und erfolgreiche Zukunft hat. Und wir alle hier sollten daran arbeiten, dass das Zentrum dieser Industrie hier in Frankfurt am Main sitzt.

Herzlichen Dank.

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