Nachricht 20. September 2023

Rede von Christian Sewing beim Handelsblatt Banken-Gipfel 2023

– Es gilt das gesprochene Wort –

Lieber Herr Matthes, lieber Herr Knitterscheid,

meine Damen und Herren,

ich freue mich sehr, heute bei Ihnen zu sein und mit Ihnen über das Umfeld zu sprechen, in dem wir uns als Banken bewegen. Das mag Sie vielleicht überraschen, denn die Schlagzeilen, die wir dazu in den vergangenen Wochen lesen mussten, waren alles anderes als erfreulich: „Die fetten Jahre sind vorbei“, „Deutschland versinkt im Mittelmaß“ oder sogar „Deutschland stürzt ab“ hieß es dort – und immer wieder wurde das Bild vom kranken Mann bemüht.

Aber es gab auch die anderen Stimmen. Sie, lieber Herr Matthes, riefen vor zwei Wochen im Handelsblatt dazu auf, mehr Optimismus zu wagen. Und genau da möchte ich heute ansetzen: Ich kann mit den Abgesängen nichts anfangen, die derzeit überall auf Deutschlands Wirtschaft angestimmt werden. Wir sind nicht der kranke Mann Europas.

Wir haben immer noch eine große Substanz, haben erstklassige Unternehmen, top ausgebildete Fachkräfte und eine Resilienz, die wir in den vergangenen Jahren mehrfach bewiesen haben. Und auch wenn wir bei den meisten Technologien nicht – oder nicht mehr – die Vorreiter sind, so hat unsere Wirtschaft immer wieder bewiesen, dass sie bei der Adaption von Innovationen immer noch spitze ist.

Das alles ist nicht plötzlich weg, weil unsere Wirtschaft drei Quartale nicht wächst. Richtig ist aber auch: Es gibt strukturelle Defizite, die unsere Wirtschaft hemmen und verhindern, dass sie ihr großes Potenzial entfaltet. Und wir werden zum kranken Mann Europas werden, wenn wir diese strukturellen Defizite jetzt nicht angehen.

Diese Schwächen sind klar benannt: Es sind zu hohe und nicht planbare Energiekosten, langsame Internetverbindungen in vielen Regionen, veraltete Bahnnetze, erhebliche Rückstände bei der Digitalisierung, Fachkräftemangel, Überbürokratisierung und lange Genehmigungsverfahren.

Und eigentlich besteht auch bei den meisten dieser Themen weitgehende Einigkeit darüber, an welchen Stellschrauben gedreht werden muss, um die Defizite zu beheben. Wenn man die vielen Reformvorschläge nebeneinanderlegt, die derzeit kursieren, gibt es eine große inhaltliche Schnittmenge. Deswegen gehe ich in dieser Rede nicht näher auf die nötigen Reformen ein. Es ist ziemlich klar, was getan werden muss. Und das schon seit Jahren.

Warum aber sehen wir dann dennoch so wenig, was sich wirklich ändert? Aus meiner Sicht hakt es an drei entscheidenden Punkten:

Der erste betrifft unsere Haltung: Der Erfolg der 2010er-Jahre hat uns satt gemacht. Zu lange haben wir uns in der Vorstellung eingerichtet, dass die Wirtschaft quasi von selbst weiterlaufen werde und wir gar nicht besonders viel tun müssten für den Erfolg. Wir diskutieren über Vier-Tage-Woche, über die Umverteilung von Wohlstand und darüber, ob Wachstum überhaupt noch erstrebenswert ist. Damit negieren wir das ökonomische Grundprinzip, dass man erst etwas leisten muss, bevor man etwas bekommt. Und wir schaffen eine lähmende Scheu vor Veränderung.

Das ist der große Unterschied zum Beginn des Jahrtausends, als mit der Agenda 2010 der Grundstein für das goldene Jahrzehnt der deutschen Wirtschaft gelegt wurde. Damals gab es einen Konsens, eine breite Akzeptanz dafür, dass wir uns verändern müssen. Diesen Konsens brauchen wir jetzt wieder, und zwar dringend. Das sagen uns Investoren aus dem Ausland sehr deutlich. Sie äußern immer offener Sorgen, ob Deutschland überhaupt in der Lage ist, sich zu verändern. Ihre Skepsis spiegelt sich zunehmend auch in ihren Investitionen wider – die sie oft lieber woanders tätigen. Und das schadet dem Standort ganz direkt.

Mein zweiter Punkt ist noch fundamentaler. Für mich haben alle Reformpläne, die bisher vorgelegt wurden, einen Makel: Sie sind viel zu national gedacht – zu einer Zeit, in der Europas Einheit mehr denn je gefragt und gefordert wäre. Spätestens seit Russlands Einmarsch in die Ukraine vor mehr als 18 Monaten wissen wir, dass wir an einem geopolitischen Kipppunkt stehen. Die Globalisierung, wie wir sie kannten, gibt es nicht mehr. Weltweit wird heute wieder mehr in Blöcken gedacht, zwischen Verbündeten und Rivalen unterschieden. Diesen geopolitischen Verschiebungen muss auch die Wirtschaft folgen und sich neu ordnen. Und das heißt für mich zuallererst, dass Europa als Region oder Block einen völlig neuen Stellenwert bekommen muss. Wir haben in den vergangenen Jahren viel über die strategische Autonomie Europas gesprochen. Die wird es aber nur geben, wenn Europa ernst macht und das Gemeinsame konsequent stärkt: Das heißt, endlich den Binnenmarkt vollenden und eine gemeinsame Energie- und Bildungspolitik verfolgen. Und das heißt, dass die notwendigen Investitionen in Verteidigung einer europäischen Strategie folgen – alles andere wäre vollkommen ineffizient. Eine echte Agenda, die Europa mehr Souveränität und Unabhängigkeit von anderen Staaten und Regionen erlaubt, wäre die beste Form des De-Risking in einer Welt globaler Konflikte und Unsicherheiten.

Das führt zu meinem dritten Punkt und dem, was auf dem Handelsblatt Bankengipfel besonders im Fokus stehen muss. Und das ist die Bedeutung unsere Finanzstandorts – hier in Frankfurt und in Europa insgesamt. Eine europäische Agenda darf das Thema finanzielle Autonomie nicht länger ausklammern. Wir haben im vergangenen Jahr bitter erfahren müssen, wie falsch es war, sich beim Gas ausschließlich auf einen einzelnen, nichteuropäischen Anbieter zu verlassen. Diesen Fehler dürfen wir im Finanzsektor nicht wiederholen – selbst wenn wir hier vor allem von einer Abhängigkeit von einem Verbündeten wie den USA sprechen. Europa braucht ein leistungsfähigeres und global wettbewerbsfähiges Finanzsystem – inklusive eines weitaus tieferen Kapitalmarkts und inklusive Banken, die die Kapazitäten und die nötige Expertise haben, um ihren Kunden den Zugang zu diesem Kapitalmarkt zu erschließen.

In einer Welt, die von Konflikten und Blockbildung geprägt ist, darf die europäische Wirtschaft nicht zu sehr abhängig von außereuropäischen Banken werden. Christian Sewing, Vorstandsvorsitzender

Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass die Tendenz seit Jahren in die Gegenrichtung geht. Es gibt nicht mal eine Hand voll europäischer Banken, die global wettbewerbsfähig sind. Und auch diese Banken fallen immer weiter hinter die globalen Marktführer zurück – und zwar nicht nur hinter die Amerikaner. Die chinesische ICBC hat fast 500 Milliarden US-Dollar an Eigenkapital, verglichen mit 60 Milliarden US-Dollar der Deutschen Bank. Ihr Kreditbuch ist mit 3,4 Billionen Dollar größer als das von Deutscher Bank, Unicredit, Santander und HSBC zusammen.

Hier muss sich dringend etwas ändern. Wir brauchen in Europa einen Rahmen, der Banken mehr Spielraum für die Kreditvergabe lässt, der Kapitalmarktfinanzierungen erleichtert und europaweites Wachstum ermöglicht. Das sage ich nicht aus Eigennutz: In einer Welt, die von Konflikten und Blockbildung geprägt ist, darf die europäische Wirtschaft nicht zu sehr abhängig von außereuropäischen Banken werden. Es braucht handlungsfähige heimische Banken, die sie gegen multiple Risiken absichern können. Und es braucht starke Institute, die Staaten und Unternehmen bei der digitalen und nachhaltigen Transformation begleiten. Auch hier geht es um Beratung und Risikomanagement – aber es geht auch um Finanzierungen in gewaltigem Ausmaß.

Deswegen kann ich mein Plädoyer nur erneuern: Die europäische Kapitalmarktunion muss kommen, um langfristig die Finanzierung unserer Wirtschaft sicherzustellen. Auf dem Weg dahin brauchen wir Zwischenschritte wie Erleichterungen für Verbriefungen. Die Initiative der Finanzminister Lindner und Le Maire hierzu ist ein starkes Zeichen, das ich ausdrücklich begrüße. Und wir brauchen eine Regulierung, die Banken nicht immer weiter einengt, sondern auch ihre Wettbewerbsfähigkeit im Blick hat.

Aber ich möchte es mir auch nicht zu leicht machen und andere in die Pflicht nehmen. Die größte Aufgabe liegt bei uns Banken selbst. Durch die globalen Verschiebungen ändert sich auch unsere Rolle – und aus meiner Sicht wird sie größer und wichtiger. Wir sind stärker denn je als Risikomanager und Berater gefragt. Das ist eine große Verantwortung, aber auch eine große Chance, um neues Vertrauen zu schaffen. Wir können und müssen jetzt beweisen, dass wir Mehrwert für unsere Kunden schaffen. Wenn uns das gelingt – davon bin ich überzeugt – wird auch die Bereitschaft zunehmen, bei der Regulierung auf uns zuzugehen.

Die Voraussetzungen dafür haben wir in den vergangenen Jahren geschaffen. Wir haben uns saniert und in eine robuste Verfassung gebracht, um in schwierigen Zeiten voll für unsere Kunden da sein zu können. Mit Erfolg: Deutschlands und Europas Banken sind heute so profitabel wie seit vielen Jahren nicht mehr.

Aber wir dürfen uns auch nichts vormachen: Der internationalen Konkurrenz hinken wir weiter hinterher, auch wenn die zinsbedingte Sonderkonjunktur das derzeit etwas übertüncht – bei manchen Instituten mehr, bei anderen weniger. Deswegen müssen wir weiter hart an uns arbeiten, noch profitabler werden, in Personal und Technologie investieren und das Kundenerlebnis optimieren.

Das sage ich in dem vollen Bewusstsein, dass wir in der Deutschen Bank beziehungsweise der Postbank unsere Kunden in dieser Hinsicht zuletzt sehr enttäuscht haben. Wir sind hier unserer Verantwortung nicht gerecht geworden – und müssen jetzt umso härter dafür arbeiten, die Probleme schnell vollständig zu beheben und das Vertrauen zurückzugewinnen.

Wenn wir das schaffen und wenn wir – als Bank und als Branche – unserer gewachsenen Rolle gerecht werden, dann haben wir die große, ja vielleicht einmalige Chance, einen elementaren Beitrag für unsere Wirtschaft zu leisten, unsere wichtige Rolle zu untermauern und damit auch die Basis für künftiges Wachstum zu legen.

Dabei gilt für uns Banken auch und ganz besonders das, was ich vorhin gesagt habe: Auch wir müssen bereit sein, alles für den Erfolg zu geben. Wir müssen hungrig darauf sein, die bestmögliche Leistung für unsere Kunden zu bringen und dabei mit Optimismus und Zuversicht voranzugehen. Und wir müssen bereit sein, uns immer wieder zu verändern, weil sich auch das Umfeld und die Anforderungen unserer Kunden ständig verändern werden.

Das ist der wichtigste Beitrag, den wir leisten können. Damit unsere Volkswirtschaft wettbewerbsfähig bleibt – und wir bald wieder mehr positive Schlagzeilen lesen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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