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7. September 2022
Rede von Christian Sewing beim Handelsblatt Banken-Gipfel 2022
– Es gilt das gesprochene Wort –
Lieber Herr Matthes, meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich freue mich, heute bei Ihnen zu sein – in einer Zeit, die heraufordernder ist als alles, was ich in mehr als 30 Jahren Bankgeschäft erlebt habe. War die Corona-Pandemie ein Schock für die Weltwirtschaft, so hat Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine einige Gewissheiten zerstört, auf denen wir unser Wirtschaftssystem in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut haben.
Die vorgenannten Punkte sind die wichtigsten Gründe dafür, dass die Inflationsraten in die Höhe geschnellt sind. Eine Rezession in Deutschland wird in der Folge nicht mehr abzuwenden sein.
Wir gehen zwar davon aus, dass unsere Wirtschaft genug Widerstandskraft besitzt, um diese Rezession gut zu bewältigen. Aber das bedingt, dass die Zentralbanken jetzt schnell und entschlossen handeln. Noch können viele Menschen auf ihr Erspartes zurückgreifen, um mit höheren Preisen fertig zu werden – und noch sind viele Unternehmen ausreichend finanziert. Aber je länger die Inflation hoch bleibt, desto größer werden die Schmerzen und der soziale Zündstoff.
Drei Lektionen
Meine Damen und Herren, diese Kombination aus kurz- und längerfristigen Herausforderungen erscheint jetzt schon einzigartig. Und so wichtig es ist, dass wir jetzt den kurzfristigen Nöten begegnen – wir müssen auch wieder darüber sprechen, was all diese Themen für unsere langfristige Wettbewerbsfähigkeit bedeuten. Denn uns steht die größte Komplexität noch bevor, wenn wir beginnen, die wirklichen Lehren aus den vergangenen Jahren zu ziehen. Drei Lektionen sind hier aus meiner Sicht zentral:
Erstens haben wir erlebt, wie gefährlich es für uns in Europa ist, wenn wir uns zu sehr abhängig machen von einzelnen Ländern oder Regionen. Dabei stehen im Moment vor allem die Energie- und Rohstoffimporte aus Russland im Mittelpunkt, und das durchaus zu Recht. Wir müssen alles tun, damit unsere Autos, Heizungen und Fabriken nicht nur dann laufen, wenn uns ein Autokrat im Kreml gewogen bleibt. Alle Bemühungen von Politik und Unternehmen, dies zu ändern, verdienen unbedingte Unterstützung.
Aber damit ist es nicht getan. Wenn es um Abhängigkeiten geht, müssen wir uns auch der unbequemen Frage stellen, wie wir mit China umgehen. Die zunehmende Abschottung des Landes und die wachsenden Spannungen, insbesondere mit den USA, bergen für Deutschland ein erhebliches Risiko.
China ist ein Eckpfeiler unserer Wirtschaft. Das Land nimmt rund 8 Prozent unserer Exporte ab und stellt 12 Prozent unserer Importe. Mehr als ein Zehntel der Umsätze aller Dax-Konzerne stammen aus China. Und wie sehr unsere Lieferketten an China geknüpft sind, wurde spätestens während der Pandemie offensichtlich. Diese Abhängigkeit zu verringern, wird einen mindestens ebenso fundamentalen Wandel erfordern wie die Entkoppelung von russischer Energie.
Gleichzeitig – und das ist für mich die zweite Lektion – müssen wir noch viel entschlossener als bisher gegen die Klimakrise vorgehen. Der Klimawandel richtet bereits jetzt gigantische Schäden an. Angesichts von Corona und Ukraine-Krieg droht das Thema aber auf der Prioritätenliste nach unten zu rutschen. Dies wäre der größte Fehler, den wir machen können. Der Kampf gegen die Klimakrise ist eine Generationenaufgabe, die Wirtschaft und Gesellschaft radikal verändern wird. Jedes Unternehmen wird sich dem Thema stellen müssen – das ist nicht nur eine Frage der gesellschaftlichen Verantwortung, sondern der eigenen Existenz. Wer Nachhaltigkeit heute nicht im Zentrum seiner Strategie verankert, wird in zehn Jahren keine Produkte verkaufen, keine Mitarbeiter finden und kein Geld mehr von Investoren bekommen. Er wird vom Markt verschwinden.
Die dritte zentrale Lektion ist für mich, dass wir in den vergangenen 30 Jahren einer Illusion nachgejagt haben. Wir haben geglaubt, dauerhaft in einer Welt ohne größere Konflikte mit stetigem Wachstum und fortschreitender Globalisierung leben zu können. Francis Fukuyama ist oft genug dafür kritisiert worden, dass er das Ende des Kalten Krieges mit dem “Ende der Geschichte” gleichsetzte. Aber de facto haben wir so gehandelt, als würden wir seiner These zustimmen. Als sei die Welt auf dem Weg zu einem großen Dorf, in dem jeder an wirtschaftlicher Kooperation interessiert ist, weil schließlich alle davon profitieren. Aber das sind wir schon lange nicht mehr.
Die Wahrheit ist, dass auf 30 Jahre vermeintlicher Ruhe nun eine Phase erhöhter Volatilität mit wirtschaftlicher Unsicherheit, regelmäßigen Krisen und geopolitischen Konflikten folgen wird, die sich ebenfalls über Jahrzehnte hinziehen dürfte. Und bei den Krisenherden handelt es sich nicht um isolierte Phänomene. Deswegen brauchen wir ganzheitliche Lösungen, die die vielseitigen Wechselwirkungen berücksichtigen. Dieser Komplexität gerecht zu werden, ist unsere große Herausforderung, ein gutes Risikomanagement ist das Gebot der Stunde.
Nationaler Kraftakt erforderlich
Meine Damen und Herren, machen wir uns nichts vor: Diese drei Aufgaben – Verringerung von Abhängigkeiten, der Umgang mit einer dauerhaft höheren Volatilität und die historische Transformation unserer Ökonomie – werden uns viel abverlangen. Sehr viel sogar. Wir werden sie nur in einem gemeinsamen Kraftakt bewältigen, im engen Zusammenspiel von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Der Finanzsektor muss und kann hierbei eine entscheidende Rolle spielen.
Wir brauchen Banken, die in der Lage sind, diese Mammutaufgaben zu finanzieren, ihre Kunden gegen Risiken abzusichern und sie als verlässliche Partner weltweit zu begleiten.
Dafür brauchen wir eine heimische Finanzbranche, die auf eigenen Beinen steht und sich im globalen Wettbewerb behaupten kann. Wir dürfen das Feld und den Zugang zu den globalen Kapitalmärkten nicht mehr weitgehend den ausländischen Banken überlassen. Das sollten uns die vergangenen Jahre gelehrt haben. Wir dürfen in Deutschland der Abhängigkeit von Gas, Rohstoffen und Lieferketten nicht auch noch eine Finanzierungsabhängigkeit folgen lassen.
Wir haben es in der Hand, das zu verhindern, aber dafür müssen wir noch viel tun. Als Finanzbranche haben wir schon einiges erreicht: Wir stehen heute viel stabiler und widerstandsfähiger da als noch vor zehn Jahren. Wir sind profitabel. Wir haben branchenweit auch im schwierigen ersten Halbjahr kaum Gewinn eingebüßt und die Erträge gesteigert. Und die Kreditausfälle, die in den kommenden Monaten drohen, dürften verkraftbar bleiben, weil wir hierfür gut vorgesorgt haben.
Fortschritte der Finanzbranche reichen noch lange nicht aus
Aber das reicht noch lange nicht aus, wenn wir Banken langfristig eine führende Rolle spielen sollen:
Meine Damen und Herren, diese Punkte sind nicht neu, aber sie werden immer dringender. Denn eigentlich sind unsere Voraussetzungen gut, es gibt keinen Grund, uns kleinzureden: Wir agieren in einer Wirtschaft, die in zwei Krisen eine enorme Widerstandskraft bewiesen hat und die auch die jetzt anstehende Rezession verkraften wird. Die Bilanzen der Unternehmen sind stark und die Verschuldung ist im internationalen Vergleich niedrig. Diese Wirtschaft hat ein großes Potenzial, wenn wir jetzt daran arbeiten, wie wir uns langfristig aufstellen und das Risiko der Deindustrialisierung mindern: weniger Regulierung, mehr Mut, mehr Pragmatismus, diese Haltung ist unglaublich wichtig.
Und das gilt für uns Banken genauso. Wir haben bewiesen, dass wir Teil der Lösung sein können. Aber wir können noch mehr: Vor der Finanzkrise ab 2007, also vor gerade einmal 15 Jahren, waren Europas Banken profitabler als die Wettbewerber in den USA. Seither sind die Amerikaner gnadenlos an uns vorbeimarschiert. Das kann man betrauern – stattdessen sollten wir dies aber als Ansporn sehen, um den Trend erneut zu drehen. Die Dominanz der amerikanischen Banken ist kein Naturgesetz.
Wir in der Deutschen Bank sind überzeugt, dass der Weg dahin über eine starke Partnerschaft mit unseren Kunden führt. Sie brauchen eine Bank, die sie in allen Lagen, an allen Märkten und überall auf der Welt unterstützen kann. Das ist der Anspruch, den wir in unserem Leitbild der Globalen Hausbank mit einem starken Risikomanagement formuliert haben. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, haben wir uns seit 2019 radikal transformiert und strategisch neu aufgestellt.
Wir sind überzeugt, dass diese Strategie in volatilen Zeiten erst recht zur Entfaltung kommt – denn jetzt ist der Moment, in dem Rat und Expertise besonders gefragt sind.
Und das gilt nicht für uns allein. Bei allen Unterschieden zwischen den Banken in Deutschland haben wir doch das eine gemeinsam: Wir waren in der Pandemie für unsere Kunden da, wir waren nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine für unsere Kunden da – und wir sind es auch jetzt, wenn in volatilen Zeiten die nachhaltige Transformation drängt. Wir haben viel Vertrauen zurückgewonnen. Lassen Sie uns gemeinsam alles tun, nun die Voraussetzungen zu schaffen, damit unsere Wirtschaft als Ganzes wieder dynamisch wachsen kann.
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