Kreislaufwirtschaft: Ausweg aus der Sackgasse?
Jedes Jahr wird uns am Erdüberlastungstag vor Augen geführt, dass wir über unsere Verhältnisse leben. Ursache dafür ist unser Lebensstil und unsere Art zu wirtschaften. Kann Kreislaufwirtschaft ein Ausweg sein?
Für unseren täglichen Konsum, für Essen, Kleidung, für Wohnen und für Mobilität benötigen wir riesige Mengen an Ressourcen und Energie. Ursachen dafür sind unser Lebensstil, wachsender Wohlstand und unser Wirtschaftssystem. Dieses folgt zu mehr als 90 Prozent einem linearen Prinzip: Produkte werden hergestellt, konsumiert und anschließend weggeworfen, was einen enormen Ressourcen- und Energieverbrauch zur Folge hat.
Wie lassen sich nun aber eine wachsende Weltbevölkerung, Wohlstand und das Wohl der Natur in Einklang bringen? Wohl eher mit einer Alternative zum linearen „Ex-und-Hopp“-Prinzip – wie der Kreislaufwirtschaft, ein alternatives Wirtschafsmodell, dass der britische Wissenschaftler David W. Pearce 1990 erstmals umfassend beschrieben hat.
Kreislaufwirtschaft: mehr als Recycling
Bei der Kreislaufwirtschaft werden Produkte beziehungsweise deren Bestandteile nach Gebrauch nicht weggeschmissen, sondern weiter verwendet – möglichst lange und möglichst für ein gleichwertiges Produkt. Damit das funktioniert, kommt es nicht nur auf ein gutes Recycling und ein funktionierendes Abfallmanagement an. Bereits bei Design und Herstellung muss darauf geachtet werden, dass das Produkt oder seine Bestandteile am Ende überhaupt wieder verwendet werden können. Das heißt: Die Materialien sind im Idealfall umweltverträglich, nachwachsend und lassen sich fürs Recyclen gut voneinander trennen.
Kreislaufwirtschaft hat großes Potenzial – ist aber noch wenig verbreitetet
Obwohl aktuell weltweit nur 7.2 Prozent der Wertschöpfung auf einem Kreislaufmodell basieren, sieht Steven Stone, Vizedirektor der Wirtschaftsabteilung beim Umwelt-Programm der Vereinten Nationen darin einen echten gamechanger, da wir damit gleichzeitig die Probleme des Klimawandels, der Naturzerstörung und der Umweltverschmutzung angehen könnten. In unserem Interview gibt er allerdings zu, dass „die Umstellung nicht ganz schmerzlos sein könnte.“
Es brauche ein Umdenken und eine neue Definition von Wohlstand, die sich nicht nur an dem Bruttoinlands-Produkt (BIP) als maßgebliche Kennziffer orientiere. Am Beispiel von Plastik macht Stone deutlich, dass es auch darauf ankommt, den tatsächlichen Preis eines Produktes deutlich zu machen. Denn Plastik, das durch billiges Öl vor allem vergleichsweise billig in der Produktion ist, verursacht riesige Folgekosten. Schätzungen zufolge sind es 300 bis 600 Milliarden US-Dollar pro Jahr allein durch Plastikverschmutzung.
Gegen die Plastikflut in den Meeren
Wie viel Plastik jedes Jahr im Meer landet, ist schwer zu schätzen. Schätzungen gehen von 4,8 bis 12,7 Millionen Tonnen aus. Das entspricht mindestens einer Lastwagenladung pro Minute. Schuld daran ist eine fehlende Müllversorgung in großen teilen der Welt. Plastik in der Natur oder am Wegesrand landet über Flüsse oder auf anderen Wegen im Meer. Dagegen hat das Berliner Technologie Start-up Clean-Hub eine Lösung entwickelt.
Ziel ist, dass grundsätzlich weniger Plastik und Müll im Meer landet. Deshalb organisiert Clean-Hub in Regionen ohne funktionierendes Abfallmanagement, wie zum Beispiel in Teilen Indiens oder Indonesiens, systematische Haushaltssammlungen und Mülltrennung. Bezahlt wird dies überwiegend durch westliche Unternehmen, die Plastik herstellen oder verwenden. Wie das genau funktioniert und welche Rolle künstliche Intelligenz spielt, erklärt uns Joel Tasche, Gründer von CleanHub.
Mehr Müll?
Mehr als 3 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu professioneller Müllentsorgung. Gleichzeitig könnte die Menge an Hausmüll aufgrund einer wachsenden Weltbevölkerung bis 2050 um 70 Prozent wachsen – wenn wir nichts ändern.
Die Weltbank sieht folgende Lösungen:
— Finanzierung moderner Abfallmanagementsysteme für Entwicklungsländer.
— Umfassende Programme zur Abfallreduzierung und zum Recycling.
— Bildungsprogramme
Die Plastikverschmutzung der Meere geht auch das spanische Modellabel Ecoalf an, das Meeres-Plastik zum Beispiel für seine Sport-Kollektionen aufbereitet. Dazu hat Ecoalf eine Kooperation mit Fischern gestartet, die immer mehr Plastik in ihren Netzen vorfanden. In unserer Videostory verrät Innovations- und Nachhaltigkeitschefin Carolina Blázquez, wie ein Kreislaufmodell in der Mode ganzheitlich aussehen kann- und wie entscheidend hier bereits das Design ist.
Ecoalf setzt dabei auf Langlebigkeit der Produkte statt auf „Fast Fashion“ – und bietet inzwischen auch einen Reparatur-Service an. Was hier noch auf freiwilliger Basis passiert, soll in der EU schon bald zur Gesetzgebung werden – als ein Recht auf Reparatur, zunächst für Elektrogeräte.
Politische Steuerung ist wichtig
Dass eine solche politische Steuerung mit verbindlichen Regeln und Standards wichtig ist, macht auch Rebecca Tauer in unserem Interview deutlich. Die Expertin für Kreislaufwirtschaft beim World Wide Fund for Nature (WWF) arbeitet an der Kreislaufwirtschaft-Strategie für Deutschland mit. Sie soll 2024 öffentlich gemacht werden.
In Frankreich gebe es mit Blick auf die geplante neue EU-Gesetzgebung bereits einen Reparatur-Index, der Verbraucherinnen zeigt, ob sich ein Produkt gut oder schlecht reparieren lässt – sowie Kostenvorteile für energieeffiziente Elektrogeräte. Dadurch würden langlebige Produkte gefördert.
Kreislaufwirtschaft braucht Zusammenarbeit
Dass Kreislaufwirtschaft komplexer ist als ein lineares Wirtschaftsmodell, liegt auf der Hand. Es erfordert das Mitwirken von Produktgestaltern, Herstellern, Konsumenten, Abfallmanagern, Regulatoren- und Banken.
Die Deutsche Bank unterstützt die Kreislaufwirtschaft zum Beispiel über nachhaltige Finanzierungen an Firmen, die ihren Betrieb umstellen, erläutert Charlotte Woodside, Nachhaltigkeitsexpertin bei der Deutschen Bank. Für diese Finanzierungen gibt es dann besondere Konditionen, damit zum Beispiel die Umstellungskosten oder die Anschaffung neuer Maschinen finanziert werden können.
Kreislaufwirtschaft gut auch für Unternehmen
Denn Kreislaufwirtschaft kann aus unternehmerischer Sicht langfristig sinnvoll sein: Rohstoffe werden knapper oder teurer, Lieferketten können durch geopolitische Veränderungen, Kriege, Handelskriege oder Naturkatastrophen einbrechen und durch neue Industriezweige gibt es mitunter Engpässe. Lithium beispielsweise ist ein wichtiges Element für die Batterieherstellung von E-Autos. Der Rohstoff ist rar, der Abbau aufwändig und zudem sind die sozialen Standards in den Abbauländern wie beispielsweise in Chile oft schwer zu überblicken. Autohersteller Mercedes plant aktuell den Bau einer Batterie-Recyclinganlage in Deutschland.
Höhere Nachfrage nach recycelten Metallen
Die Firma Cronimet recycelt bereits seit mehr als 40 Jahren Metalle, unter anderem Nickel. Finanzchef Bernhard Kunsmann bestätigt eine deutlich steigende Nachfrage nach Recyclingmaterial. Seine Kunden, große Edelstahlwerke in Europa und den USA, sind börsennotiert und müssen Nachhaltigkeitsberichte vorlegen – da hat der Metall-Schrott eine deutlich bessere CO2-Bilanz als Rohstoffe, die man erst aus der Erde holen muss.
Gesamtwirtschaftlicher Nutzen
Tatsächlich könnte die Umstellung auf Kreislaufwirtschaft laut dem World Economic Forum (WEF) bis 2030 einen gesamtwirtschaftlichen Nutzen von weltweit 4,5 Billionen US-Dollar haben: Innovationen in vielen Bereichen bringen neue Arbeitsplätze mit sich und Firmen können – wie erwähnt – auf lange Sicht Kosten sparen.
Die Kommission für Wirtschaft und Nachhaltigkeit in London sieht bis 2030 ein weltweites Einsparpotenzial von 1015 Billionen US-Dollar, wenn Kreislaufwirtschaft sich breit durchsetzt. Und die Europäische Kommission, die mit ihrem Aktionsplan seit 2021 Kreislaufwirtschaft innerhalb der EU fördert, geht davon aus, dass das europäische Bruttoinlandsprodukt bis 2030 um weitere 0,8 Prozent im Vergleich zu „business as usual“ anwächst, wenn ihr Plan konsequent umgesetzt wird.
Weniger Natur-Ausbeutung
Neben den rosigen Aussichten für die Wirtschaft wäre die Bilanz für Klima und Natur in jedem Fall positiv: die Ellen MacArthur Foundation, ein renommierter Think Tank beim Thema Kreislaufwirtschaft, rechnet damit, dass die bis 2050 vorhergesagten globalen Treibhausgasemissionen um ein Fünftel reduziert werden könnten. Oder um umgekehrt formuliert: Ohne Kreislaufwirtschaft wird es schwierig, die Pariser Klimaziele zu erreichen.
Der weltweiten Rohstoffverbrauch könnte sogar um mehr als 30 Prozent gesenkt werden. Damit könnte menschliches Handeln und Wirtschaften wieder in ein für den Planeten verträgliches Maß zurückgeführt werden. Doch der Druck, etwas zu ändern, ist insbesondere in Ländern mit vielen Rohstoffen nicht so stark ausgeprägt.
Vorreiter Europa
In ihrem ersten Bericht zur Kreislaufwirtschaft bescheinigt die Weltbank der Europäischen Union eine Vorreiterrolle und betont, dass sich Wachstum und Ressourcennutzung innerhalb eines Jahrzehnts hier tatsächlich entkoppeln lassen könnten.
Wenn wir keine Zeit verschwenden.
Sonja Dammann
… beschäftigt sich im Content-Team der Deutschen Bank unter anderem mit Trends. Je mehr sie sich mit der Kreislauf-Wirtschaft beschäftigt, umso mehr wundert sie sich, warum noch nicht viel mehr Firmen auf den Zug aufgesprungen sind.
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