„Nickel wächst nicht nach“

Metallschrott zu verwerten ist per se ein nachhaltiges Geschäftsmodell. Doch Kreislaufwirtschaft allein garantiert noch längst keine Resilienz, wie Cronimet erfahren hat.

Video: Schrott, die ewige Ressource – #EconomyStory

Den 7. März 2022 wird Bernhard Kunsmann nie vergessen. Der Nickelpreis lag plötzlich bei 50.000 US-Dollar pro Tonne – 66 Prozent mehr als am vorherigen Handelstag. Am nächsten Tag schoss er noch bis auf 100.000 US-Dollar, dann zog die Londoner Metallbörse die Reißleine und setzte den Nickelhandel aus. 

Nickel ist ein Bestandteil von Edelstahl, und Kunsmann ist Finanzchef von Cronimet, einem Konzern, der seit mehr als 40 Jahren Edelstahlschrott kauft, bearbeitet und wieder verkauft – meist ganze Güterzüge voll. 1,6 Millionen Tonnen waren es im Jahr 2021. 

Wenn der Einkaufspreis steigt, hebt man den Verkaufspreis an, könnte man denken. Aber so einfach ist es nicht. Cronimet bearbeitet und lagert seine Ware über durchschnittlich 45 Tage – Zeit, in der sich Preise verändern können. Und das kalkuliert das Unternehmen auch ein. Aber eine solche Preisexplosion wie im März 2022 hat unberechenbare Folgen.

Die herausforderndste war für Kunsmann: Sein Treasury-Team hatte „die Nickelposition gehedged“ – das heißt, sich gegen schwankende Preise abgesichert. Die Vorsichtsmaßnahme wurde aber wider Erwarten zur Belastung, als Cronimet plötzlich mit sogenannten Margin Calls konfrontiert war, weil Spekulanten zuvor auf fallende Kurse gesetzt hatten und dies zusammentraf mit der Angst vor einer weiteren Verknappung der Nickelreserven auf Grund des Ukraine-Krieges. Das bedeutete für Cronimet, dass es seinen „Hedging Brokern“ kurzfristig einen dreistelligen Millionenbetrag als Sicherheitsleistung zur Verfügung stellen musste. 

Dank langjähriger und vertrauensvoller Beziehungen zu seinen Hausbanken überwand Cronimet diesen Schock. Gut finanziert war das Unternehmen bereits, doch akut auf die Konsortialkreditlinien zurückzugreifen, hätte bedeutet: weniger Schrott kaufen können. So haben vier Banken kurzfristig eine weitere Kreditlinie in Höhe von 100 Millionen Euro eingeräumt, die nach und nach zurückgezahlt wurden. 

Kunsmann betont, dass Cronimet Hedginginstrumente nicht nutzt, um zu spekulieren, sondern ausschließlich, um Risiken zu managen. „Wir verdienen unser Geld mit Handels- und Blending-Margen. Also weil wir den Schrott genauso mischen, wie es die Edelstahlwerke brauchen. Wir schneiden, pressen und paketieren das Metall so, wie unsere Kunden es bestellen.“

Krisengewinnler? 

Wenn Kunsmann an Krisen denkt, kommt ihm zuerst die Endlichkeit von Rohstoffen in den Sinn: Die Ressourcen der Erde sind begrenzt und treffen gleichzeitig auf eine wachsende Weltbevölkerung, wachsenden Wohlstand und mehr Konsum. „Nickel wächst ja nicht nach“, macht er es an einem Beispiel deutlich. 

Wenn Ressourcen knapp werden, wird Wiederverwertung wichtiger. Cronimet recycelt seit mehr als 40 Jahren Metalle und spürt, dass Nachhaltigkeit essentieller wird. „Ja, wir profitieren von der Entwicklung. Unsere Kunden, also vor allem die großen Edelstahlwerke in Europa und den USA, sind börsennotiert und müssen Nachhaltigkeitsberichte vorlegen. Und Metallschrott hat eine bessere CO2-Bilanz als Rohstoffe, die man erst aus der Erde holen muss.“ So erzeugt eine Tonne Edelstahl aus Primärrohstoffen 6,7 Tonnen mehr Kohlenstoffdioxid, als wenn sie aus Recyclingmaterial gewonnen wird.

Metallschrott hat eine bessere CO2-Bilanz als Rohstoffe, die man erst aus der Erde holen muss.
Bernhard Kunsmann

„Wir ruhen uns aber nicht darauf aus, dass unser Geschäftsmodell an sich schon nachhaltig ist“, sagt Kunsmann. Cronimet tue selbst auch immer mehr für den Klimaschutz, installiert beispielsweise Photovoltaikanlagen auf den Dächern seiner Immobilien in verschiedenen Ländern. In der Karlsruher Zentrale können Mitarbeitende ihre E-Autos kostenlos aufladen und bekommen eine Förderung für E-Bikes. 

Läuse und gleichzeitig Flöhe

Größere Krisen erlebte das Unternehmen 2008 und Ende 2015, beide Male war der Anlass, dass die Rohstoffpreise deutlich eingeknickt waren. Bei der letzten Krise kamen weitere Probleme hinzu: ein vertragsbrüchiger Partner und ein Betrugsfall. Die Entwicklung 2015 führte schließlich dazu, dass man größere Restrukturierungsmaßnahmen durchführen musste. „Diese Phase haben wir genutzt, um uns weiterzuentwickeln und für die Zukunft aufzustellen. Wir haben unsere Organisationstruktur angepasst und auch unsere Standortstrategie“, sagte Kunsmann.  

Seitdem sei es für das Unternehmen stets bergauf gegangen – bis eben zu besagtem März 2022. Allerdings war der Schock durch die Margin Calls zügig überwunden und die erforderliche Zusatzfinanzierung von 100 Millionen Euro zügig zurückgezahlt. Cronimet handelt konsequent und schnell, wenn es die Lage erfordert – beispielsweise auch im Februar 2022: Nur Tage nachdem Russland seine große Invasion in die Ukraine begann, hat Cronimet sein Russlandgeschäft eingestellt. 

Neben seinen Schwerpunkten in Europa und den USA handelt Cronimet auch viel in Brasilien und Südafrika. Kunsmann geht davon aus, dass Deglobalisierung eine längere Folge der geopolitischen Entwicklungen sein wird: „Wir setzen jetzt noch stärker darauf, in der westlichen Welt tätig zu sein, und weniger in autoritären Staaten.“

Wir setzen jetzt noch stärker darauf, in der westlichen Welt tätig zu sein, und weniger in autoritären Staaten.
Bernhard Kunsmann

Kunsmann hat einen Blick fürs Globale, muss aber auch das Lokale beobachten: „Unser größter Konkurrent hat einen Standort ganz in unserer Nähe, direkt auf der anderen Rheinseite. Wir müssen schon aufpassen, dass wir alles richtig machen, damit der Schrott zu uns kommt“. Auch deswegen hat die Cronimet-Geschäftsführung immer Pläne in der Schublade, wie sie das Unternehmen weiterentwickeln kann. „Aber man kann nicht alles auf einmal machen“, sagt Kunsmann. 

Transparenz, Fairness, Partnerschaft: Darauf habe Cronimet immer schon gesetzt. Und in seinen Krisen hat es erfahren, dass diese Werte wirklich wertvoll sind. „Wir sagen seitens des Managements den Banken, aber auch den Mitarbeitern immer, wenn etwas Gutes in der Pipeline ist, aber auch, wenn etwas Schwieriges auf uns zukommt.“ So gab es vor einem Jahr in der Belegschaft durchaus Sorge, ob Cronimet die Nickelpreisexplosion gut übersteht. Die konnte Kunsmann ausräumen: „Wir pflegen eine sehr enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit all unseren Partnern – auch deswegen sind wir sehr gut durch unsere Krisen gekommen.“

Dieser Text wurde von Verena Bamfaste und Heinrich Froemsdorf geschrieben. 

Cronimet Anlage

Über Cronimet

Das Familienunternehmen wurde 1980 von Günter Pilarsky in Karlsruhe gegründet. Cronimet ist heute einer der führenden Rohstoffrecycler für Edel- und Spezialstahl. Rund 1600 Mitarbeitende arbeiten an 70 Standorten auf sechs Kontinenten für den Konzern. Zur Geschäftsleitung gehören neben Bernhard Kunsmann auch der Gründer, dessen Sohn Jürgen Pilarsky sowie Annette Gartner.

Empfohlene Inhalte

Unternehmerischer Erfolg | Ausblick

Der schwierige Weg von der Effizienz zur Resilienz Der schwierige Weg von der Effizienz zur Resilienz

Mit der richtigen Strategie können Unternehmen den Krisen unserer Zeit widerstehen. Die ukrainische IT-Branche hat gezeigt, wie das geht.

Der schwierige Weg von der Effizienz zur Resilienz Wie schaffen wir das?

Unternehmerischer Erfolg | Video-Interview

Ist das Schlimmste überstanden? Ist das Schlimmste überstanden?

Wie widerstandsfähig ist unsere Wirtschaft? Deutsche-Bank-Analyst Henry Allen erklärt, wie Volkswirtschaften auf Krisen reagieren und ob das Schlimmste vorbei ist.

Ist das Schlimmste überstanden? Zum Video-Interview

Unternehmerischer Erfolg | Kurz & knapp

Gut gewappnet für die Zukunft Gut gewappnet für die Zukunft

Widerstandskraft erhöhen und schwierige Situationen meistern – hier geht es um Ideen und Strategien, wie Unternehmen das gelingen kann.

Gut gewappnet für die Zukunft Resilienzfaktoren

What Next: Unsere Themen

Link zu Wachstum mit Verantwortung
Link zu Digitaler Umbruch
Link zu Unternehmerischer Erfolg