„Die Sprach-KIs sind gebaut, um zu halluzinieren.“
In Redaktionen zieht immer mehr künstliche Intelligenz ein. Wie die Zusammenarbeit in hybriden Teams aus Mensch und Maschine gelingen kann, wo der Mensch trotz allem unverzichtbar ist, und warum Vertrauen am Ende die wichtigste Währung ist, zeigt das Medienunternehmen BurdaForward.
Wie informieren Sie sich eigentlich über die wichtigen Ereignisse des Tages? Durch das Radio morgens im Bad. so wie ich? Am Frühstückstisch mit einer Tageszeitung? Oder scrollen Sie am Smartphone durch den Feed und klicken weg, sobald Sie auf eine Paywall treffen?
Unser Informationsverhalten hat sich in den zurückliegenden Jahren fundamental gewandelt. Nicht nur in Deutschland hat sich die verkaufte Auflage von Tages- und Sonntagszeitungen seit 1995 mehr als halbiert, auch die Umsätze im Buch-, Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt sind rückläufig. Auf internationaler Ebene sieht das Bild nicht besser aus.
Die Medienwirtschaft befindet sich im Umbruch. Qualitätsjournalismus hat es zunehmend schwerer, sich zu behaupten. Konkurrenz-, Zeit- und Kostendruck im Medienbereich steigen seit Jahren. Zurückgehende Werbeeinnahmen im Printbereich, die bislang nicht durch entsprechende Mehreinnahmen im boomenden Online-Bereich auszugleichen sind, machen vielen Medienunternehmen das Leben schwer. Diese Veränderungen bleiben nicht ohne Wirkung auf den Arbeitsmarkt und die Beschäftigungsbedingungen, schreibt auch die Bundesanstalt für Arbeit in ihrem jüngsten Blick auf die Branche.
Kann ein Medienunternehmen hochwertige und womöglich kreative Inhalte überhaupt noch anbieten? Oder schreibt künftig ohnehin kein Mensch mehr, was ich morgens lese?
Hallo, wer schreibt denn da?
Zurück an den Küchentisch, zu den ersten wichtigen Informationen des Tages. Da sitze ich also mit meinem Kaffee in der Hand und scrolle durch den Feed – und weiß nicht wirklich, ob ich den Nachrichten vertrauen kann.
Kann ich glauben, was ich lese?
Mehrere aufsehenerregende Fälle haben in jüngster Vergangenheit ans Tageslicht gebracht, dass Inhalte einiger Anbieter von einer künstlichen Intelligenz (KI) erstellt waren, der Hinweis darauf aber kaum aufzufinden war. Konsumenten fühlen sich hintergangen: In einer von „Fake-News“ geprägten und unsicheren Zeit dürfte das die Glaubwürdigkeit von Medieninhalten weiter untergraben.
Kann ich als Konsument*in überhaupt erkennen, ob ein Text menschen- oder maschinengemacht ist? Kommt darauf an, sagt Oliver Markert, Creative Development Director bei BurdaForward, denn bei weitem nicht jeder Inhalt erfordere es, dass ein Mensch ihn aufwendig – und kostenintensiv – aufbereitet. „Im Nachrichtenjournalismus kann man seit Jahren schon mithilfe von Datenpunkten vollautomatisch Nachrichten generieren. Beispiel: Ein Orkan zieht auf. Viele solcher News zu lokalem Wetter, Staus oder auch manche Börsennachricht machen ökonomisch nur Sinn, wenn man sie nicht vom Menschen machen lässt. Dieser Roboterjournalismus kann dort zum Einsatz kommen, wo menschliche Arbeitszeit nur teilweise erforderlich ist – nämlich bei der Überprüfung jeder dieser Inhalte.“
Doch das sei eben nur die eine Seite: „Und dann gibt es natürlich den klassischen Journalismus. Dafür braucht es Menschen in der Redaktion, die Zusammenhänge sehen, die verstehen, wie die Nation tickt, die Geschichten machen können, die Leser*innen einfach fesseln. Die wir sofort losschicken, wenn irgendwo etwas passiert, die mit den Leuten vor Ort reden – das ist nicht ersetzbar.“
Wo braucht es den Menschen? Wo die Technologie?
Markert treibt seit vielen Jahren Innovationsprojekte bei BurdaForward voran, dem Digitalableger des Mutterkonzerns Hubert Burda Media, unter dessen Dach sich Digitalmarken wie etwa FOCUS online, CHIP.de, BUNTE.de oder TV Spielfilm Online versammeln. Und wenn man ihm zuhört, bilden menschliche und künstliche Intelligenz hier ein ziemlich unschlagbares Team. Denn die KI soll keine*n Redakteur*in ersetzen oder die journalistische Kernkompetenz des Recherchierens überflüssig machen.
Wo sie hingegen unterstützen soll, ist dabei, Prozesse zu optimieren, Routinen zu übernehmen und Inhalte auf unterschiedliche Formate anzupassen: „Zusammenfassungen und schnelle News müssen nicht vom Menschen verfasst werden. Sie müssen aber von ihm auf Herz und Nieren geprüft werden. Unverzichtbar ist der Mensch auch dabei, die Information aufzuspüren und ins Haus zu holen, die Quelle und natürlich den Inhalt exakt zu kontrollieren. Dieses Anrufen, dieses Hinterhergehen, das Entscheiden, was zu den Breaking News gehört und die Redigatur: dafür brauchen wir Menschen, brauchen wir Gehirn“, sagt Markert.
„Teile des Handwerks können von der Technologie erledigt werden. Mit Hilfe der KI konfektionieren wir die Information – kurze Nachricht, lange Nachricht, Audio, Video, mit Bild. Wir wissen, worin sich ein langer Artikel für FOCUS online unterscheidet von einem Artikel für BUNTE.de oder CHIP.de. Diese statistische KI-Gussform müssen wir nur einmal anfertigen. Dann können damit Inhalte quasi am Fließband gegossen werden. Die menschliche Intelligenz und Sorgfalt unserer Leute ist dann für die letzte so wichtige Prüfung verantwortlich.“
Diese statistische KI-Gussform müssen wir nur einmal anfertigen. Dann können damit Inhalte quasi am Fließband gegossen werden.
KI dient dem Produktionsprozess
Betriebswirtschaftlich betrachtet ermöglicht erst das Arbeiten im gemischten Team die Erstellung der ganzen Palette redaktioneller Inhalte: „Dadurch, dass uns die Maschine dies mehr und mehr abnimmt, können wir mehr Nachrichten, Videos, Inhalte produzieren.“
Markert beschreibt die Medienproduktion in großen Linien, das Erstellen von Inhalten ist nur ein Prozessschritt von vielen. Er sieht KI in der gesamten Wertschöpfungskette. An deren Ende müssen die passgenau konfektionierten Inhalte ihre Konsumenten auch erreichen – am richtigen Ort, zur richtigen Zeit, in der richtigen Stimmung. Und hier kann das Team aus Mensch und Maschine sein Potenzial voll ausspielen: „Die Distribution ist im Produktionsprozess ein enorm wichtiger Schritt. Weil natürlich jede*r Nutzer*in eine spezifische Interessenlage hat, müssen wir die Produkte entsprechend anpassen: Nennen wir es Personalisierung oder besser Dynamisierung von Content.“
Das Spannungsfeld entsteht zwischen der Semantik der natürlichen Sprache und der Deterministik der logischen Systeme dahinter – das sind Bilder, wo man auch mal hingucken kann, die sind wirklich hübsch geworden. Nicht immer einfach.
Auf die Nutzer*innen reagieren
Bedeutet: Nicht jede*r Nutzer*in möchte morgens zum Kaffee die gleichen Inhalte präsentiert bekommen. Basierend auf individuellen Interessen erhält jede*r die Inhalte, die das System für passend hält: „Es ist wichtig, die Dinge individuell so anzuordnen, dass sie möglichst viel Sinn machen, weil sie ja weiterführen. Wenn Sie Ihre Reise anders fortsetzen wollen, als ich das mache, hat das monetäre Implikationen, denn wir bieten Ihnen zum Beispiel Links an, raus aus unserer Infrastruktur, wo sie etwas ansehen oder etwas kaufen können. Diesen Distributions-Aspekt optimieren wir mit Hilfe von KI, um jedem das möglichst beste Produkt an die Hand zu geben. Dafür entwickeln wir auch eigene Technologien. Aber das ist nicht neu: Wir reagieren auch jetzt schon auf Sie als Nutzer*innen und Ihren Umgang mit unserem Content. Sie merken das nur nicht.“
Auch in der Produktentwicklung erhofft sich BurdaForward neue Impulse: „KI eröffnet uns viel Innovationsspielraum und Wachstumsmöglichkeiten. Wir sind hier sehr aktiv, probieren in unseren Produkten Neues aus und überlegen gleichzeitig, was die Technologien eigentlich für die Zukunft und für uns als Medienhaus bedeuten. Wir haben auch unsere eigenen Programmierer, die helfen, Anwendungen schneller zu bauen und produktiver zu machen. Da sehen wir Riesenpotential.“
Mensch und Maschine: das Dreamteam der Zukunft?
Mit Blick auf den Megatrend „New Work“ gehen die Forscher am Frankfurter Zukunftsinstitut davon aus, „dass der Trend Technosoziale Arbeitswelt den Wandel mit großer Wahrscheinlichkeit am stärksten prägen wird“. Und sie sehen akuten Handlungsbedarf für Unternehmen: „In dieser technosozialen Welt müssen Mitarbeitende lernen, mit Technologien als Partnern zu arbeiten.“ In Zukunft werde eine Kombination aus technologischen Fähigkeiten und sozialen Kompetenzen benötigt, menschliches Potenzial und technologische Innovation müssten verschmelzen.
BurdaForward treibt den Einsatz von KI voran. Die Burda-Tochter profitiert davon, ein durch und durch digitalisiertes Haus zu sein. „Hier arbeiten naturgemäß Menschen, die ein bisschen anders ticken. Unsere Kolleg*innen sind ziemlich flexibel und bringen ein sehr offenes Mindset mit, einfach auch, weil es ihnen Spaß macht, sich mit digitalen Trends zu beschäftigen“, erklärt Markert.
Mitarbeitende müssen lernen, mit Technologien als Partnern zu arbeiten.
Jobprofile ändern sich, auch die von Journalist*innen: „Natürlich gibt es auch Kolleg*innen, die sich angesichts des veränderten Umfelds schwer tun oder sich durch die neuen Workflows bedroht fühlen. Wir sind aber froh, dass sie meisten von uns technologiebegeistert sind und Neues eher umarmen als abstoßen.“ Deutlich wird: Hier bekennt man sich zu dem Willen, das Beste aus dem Tool KI herauszuholen.
Neues Mindset, neues Skill-Set?
Also eigentlich alles wie gehabt? Nicht ganz: An anderer Stelle in der Branche hat der Einzug von KI in die Redaktionen durchaus für Verwerfungen gesorgt. Ende 2023 ging ein Aufschrei durch die Medienlandschaft: Ein großer Nachrichten-Konzern hatte angekündigt, die Redaktion eines seiner Ableger zu entlassen und vollständig durch KI zu ersetzen.
Automatisierungsschub durch KI
Mit Blick auf den US-Arbeitsmarkt sieht eine McKinsey-Studie dank KI bereits im Jahr 2030 einen Automatisierungsschub von 15 Prozent im Kreativsektor (Abbildung 3).
Und auch beim Start-up OpenAI (Entwickler von Chat GPT) der University of Pennsylvania haben kürzlich Forschende eine Studie von OpenAI veröffentlicht, der zufolge sich Menschen in einigen Berufen darauf einstellen sollten, dass die KI zumindest einen Teil ihrer bisherigen Aufgaben übernehmen kann: Darunter Programmierer, Mathematiker, Buchhalter, Dolmetscher, Schriftsteller, Journalisten. Hier liegt der Anteil der betroffenen Aufgaben bei 100 Prozent.
Eine Entwicklung, die nicht mehr aufzuhalten ist? Eher andersherum, glaubt Markert: „Durch die beschleunigten Workflows sparen wir uns in der Redaktion und in vielen anderen Bereichen viele Arbeitsstunden. Das heißt aber ganz und gar nicht, dass wir unsere Leute nicht mehr brauchen. Der neuartige Alltag eröffnet einigen Kolleg*innen gerade große Chancen, sich über den Tellerrand der klassischen Redaktion hinweg weiterzuentwickeln, sich mit Technologie, Produkt oder auch der eigenen Kreativität auseinanderzusetzen. Das ist für viele sehr spannend.“
Müssen diese Mitarbeiter*innen der Zukunft neben einem neuen Mindset auch ein neues Skill-Set mitbringen? Anders gefragt: Sind ganz neue Kompetenzen erforderlich?? „Ich bin mir nicht sicher, ob man überhaupt irgendein zusätzliches Skill braucht“, winkt Markert ab. „Das Einzige, was man letztendlich mitbringen muss, ist Neugier.”
Mit dem Ziel, die Mitarbeitenden auf dem Weg mitzunehmen und zu begeistern, hat BurdaForward im vergangenen Jahr erstmals die AI-Week durchgeführt, eine großangelegte interne Fortbildungswoche, bei der über Quantencomputing genauso geredet wurde wie über Cyber Robotik und den Einsatz generativer KI. Wahrgenommen haben das Angebot hunderte Mitarbeiter*innen und namhafte Speaker, Unternehmen und Technologieanbieter. Der zweiwöchentliche AI-Tuesday sorgt im Unternehmen dafür, dass alle am Ball bleiben: Hier treffen sich jeden Dienstag um die hundert Kolleg*innen und tauschen Wissen aus, testen Tools und teilen aktuelle Entwicklungen und Perspektiven. Für den Nachwuchs in der konzerneigenen Journalistenschule ist die künstliche Intelligenz bereits selbstverständlicher Bestandteil des Lehrplans und der Praxis.
Das Einzige, was man mitbringen muss, ist Neugier.
Befragung zu den Auswirkungen durch KI am Arbeitsplatz
In Deutschland ging 2023 mehr als die Hälfte der Befragten, rund 53 Prozent, nicht davon aus, dass künstliche Intelligenz ihren Arbeitsplatz innerhalb der nächsten fünf Jahre verändern wird. Ebenso optimistisch war eine große Mehrzahl, mit 71 Prozent, die aussagte, dass KI ihren Arbeitsplatz nicht in fünf Jahren ersetzen werde.
Wenn die Synthese gelingt
Denn der Einsatz von KI, so disruptiv er heute wahrgenommen werde, sei doch letztendlich ein folgerichtiger Schritt im Sinne der Nutzer*innen, vergleichbar mit der Erfindung der Computermaus oder der Handykamera: „‘KI, das geht wieder weg‘“, zitiert Markert einen Kollegen, „und das ist folgendermaßen gemeint: den Einsatz von KI wird man bald gar nicht mehr merken, weil es völlig normal für uns ist. Das passiert auch heute schon in den Geräten: Da steckt so viel Zeug drin, das wir einfach unhinterfragt benutzen. Handykameras sind ein gutes Beispiel dafür, wie viele Skripte im Hintergrund ablaufen – und wir drücken den Knopf, und das Gerät macht ein Bild. Vor wenigen Jahren musste man die Blende und die Belichtungszeit einstellen, dann musste man alles zum Entwickeln bringen und zwei Wochen warten. Das ist jetzt alles verschwunden. Genauso wird es auch hier sein: Die Technologie wird in den Hintergrund treten. Exakt das ist unsere Aufgabe als Arbeitgeber: die beste Arbeitssoftware zu designen, mit der unsere Teams gerne und gut arbeiten.“
„Das Zusammenspiel von menschlicher Kreativität und digitalen Werkzeugen kann ein fulminantes Feuerwerk zünden.“ So haben es Miriam Meckel und Léa Steinacker in ihrem Buch „Alles überall auf einmal: Wie Künstliche Intelligenz unsere Welt verändert und was wir gewinnen können“ zusammengefasst. Die Professorin für Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen und die promovierte Sozialwissenschaftlerin zeigen hier die Chancen auf, die aus einer gelungenen Synthese aus menschlichem Potenzial und technologischer Innovation erwachsen können.
Sorgfaltspflicht gegen Fake
Aber was, wenn KI zur bewussten Manipulation genutzt wird? Immer wieder tauchen spektakuläre Erzeugnisse auf, die einer Fake-News sehr nahekommen. Erst kürzlich musste Google seinen Chatbot Gemini zurückpfeifen, weil dieser auf den Prompt (Auftrag), einen deutschen Soldaten aus dem Jahr 1943 zu zeigen, eine PoC (Person of Colour) in Naziuniform gesteckt hatte.
Folgt man einer kürzlich publizierten repräsentativen Studie der Bertelsmann-Stiftung, zeigen die Umfrageergebnisse „ein wachsendes Misstrauen gegenüber Medien und Politik bei gleichzeitiger Verunsicherung". Ein knappes Drittel der Befragten habe nur wenig Vertrauen in Medien. Das Bewusstsein für die Risiken absichtlicher Falschinformationen für die Demokratie sei in weiten Teilen der Bevölkerung geschärft, heißt es in der Studie.
Markert hält auch das nicht für neu: „Wenn wir in die Geschichte des Journalismus sehen, gab es immer schon Versuche, Journalisten übers Ohr zu hauen. Deswegen haben wir dort Menschen sitzen, die geistige Hochleistungssportler sind. Wir sensibilisieren unsere Leute immer wieder: ‚Ihr könnt keinem Foto mehr trauen, keinem Text, keinem Video, keiner Stimme.‘ Wir selbst arbeiten schon mit den großen Playern, um zum Beispiel Bilder aus einer bildgenerativen KI wie Adobe Firefly möglichst immer ihrer Quelle zuweisen zu können und eventuelle Änderungen an dem Bild schnell zu erkennen. Weil wir wissen, wie diese Technologien funktionieren, kennen wir auch deren Fallstricke und stellen uns bestmöglich auf, um nicht über eine Fälschung zu stolpern.“
Die meisten Entscheidungsträger sind keine Ingenieure. Zwangläufig entstand durch diesen Fakt ein größerer Abstand zu digitalen Geschäftsmodellen bzw. deren Wertschöpfungsketten. Die Eingriffsmöglichkeiten in die digitale Wertschöpfung nimmt dank der großen Sprachmodellen nun noch nie dagewesene Dimensionen an. Das wird großen Einfluss auf die Wertschöpfungsmächtigkeit aller Mitarbeiter haben.
Werkzeug oder Generator?
Doch werde die KI nur als ein Tool von vielen im Prozess eingesetzt, der Mensch halte die Fäden in der Hand: „Zur journalistischen Sorgfaltspflicht gehören eindeutige Quellenangaben, das hat sich nicht verändert. Wenn beispielsweise eine Illustration aus einer Maschine kommt, dann steht da zum Beispiel Dall-E oder Midjourney. Bei uns im Haus gibt es keine rein mit KI erstellten Textinhalte, sondern immer Menschen, die sowohl die Inputs überprüfen als auch die Outputs.“
Welche Regeln braucht das neue Spiel?
Dass sich hier verbindliche und akzeptierte Spielregeln erst noch durchsetzen müssen, zeigt der Blick auf ein Urteil des Presserats, der im Dezember eine Kochzeitschrift wegen der Verwendung von KI-generierten Bildern gerügt hat. Im selben Monat hat die New York Times openAI spektakulär wegen Copyright-Verletzung verklagt. Seit Jahren schon fordert Google-Chef Sundar Pichai internationale Regeln für die künstliche Intelligenz.
Bei Hubert Burda Media hat man eine Haltung zum Umgang mit KI entwickelt. Der Konzern hat ein Manifest erarbeitet und ist der Glaubwürdigkeit verpflichtet. Dazu gehört auch, dass Fakten sauber recherchiert sind und es seriöse Quellen gibt.
Was bedeutet das hohe Gut der Glaubwürdigkeit im Wettlauf um die Aufmerksamkeit der Nutzer*innen? Können andere Anbieter schneller sein, weil sie sich nicht darum scheren, ob eine Nachricht Fake ist oder nicht? Markert winkt ab: „Wenn die BBC meldet, die Queen ist tot, ist die Queen tot. Es gibt absolut verlässliche Quellen, von öffentlicher Seite zum Beispiel, auf die kann man einfach vertrauen. Und wir haben natürlich Menschen in unserer Redaktion, die anrufen, nachfragen und prüfen, ob die Geschichte wasserdicht ist. Das sind in der Regel nur wenige Anrufe oder Nachfragen. Am Ende reden wir über ein paar Minuten, und die Zeit nehmen wir uns auf jeden Fall. Das sind klassische journalistische Recherchequalitäten und menschlicher Basisjob bei uns, auch in Zeiten von KI.“
Ähnlich sagte das kürzlich die Justiziarin und stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Journalistenverbandes, Hanna Möllers: „Die Kernaufgaben des Journalismus kann KI nicht: Das Analysieren politischer Zusammenhänge, das Erkennen von Problemlagen, das Vermitteln zwischen Politik und Bevölkerung. Alles, was die Watchdog-Aufgaben des Journalismus in der Demokratie betrifft.“
So hat zum Beispiel Reporter ohne Grenzen eine Initiative lanciert, die sich an den ISO-Normen orientiert, um die Glaubwürdigkeit des Journalismus zu gewährleisten. Microsoft verwendet sie in seinen Algorithmen, um sicherzustellen, dass der unabhängige Journalismus mehr zum Tragen kommt, sagt der Demokratieschützer Michael Bak.
Paris-Charta zu KI und Journalismus
Der Deutsche Journalisten-Verband gehört zu den Unterzeichnern der Paris-Charta zu KI und Journalismus. Die Charta stellt 10 Grundregeln zu KI und Journalismus auf, die für Medienunternehmen und Medienschaffende verbindlich werden sollen.
Halluzination braucht Leitplanke
Ist denn bei BurdaForward schon mal etwas schief gegangen? „Natürlich ist es ganz wichtig, den Mitarbeitern auch zu sagen: ‚Pass auf, dass dir die Technologie keinen Fehler unterjubelt‘“, räumt Markert ein. „Das kennen wir auch: Da hat das System Protagonisten und Zitate erfunden, die im Original gar nicht vorhanden waren. Folglich ist es wieder eine Designaufgabe: Was ist hineingegangen in die Maschine, und was kommt wieder hinaus? Wir vermitteln unseren Kolleg*innen ganz klar: Die Sprach-KIs sind gebaut, um zu halluzinieren. Unsere Aufgabe ist es aber, Leitplanken dafür zu setzen, dass sie das möglichst nicht tun – durch unsere technischen Vorgaben. Das werden wir aber nie zu 100 Prozent schaffen. Deswegen brauchen wir die Menschen. Man muss skeptisch bleiben."
Man muss skeptisch bleiben.
Wir sagen unseren Kolleg*innen: ‚Wir können euch immer die ersten 80 Prozent, und wenn wir uns richtig anstrengen auch die ersten 90 Prozent des Weges beschleunigen, aber für die letzten 10 Prozent brauchen wir dich und wirklich deine ganze Konzentration: dass du dich hier nicht hinter die Fichte führen lässt.‘ Ich bin überzeugt, dass das für uns als Medienhaus die Chance ist, uns abzugrenzen von diesen anderen Plattformen.“
Vom schreibenden Journalisten zur Kontrollinstanz für eine fantasierende künstliche Intelligenz – ist das der Weg, den das Berufsbild der Journalist*innen gerade nimmt?
Human ist einfach ein Qualitätsmerkmal.
Die Bedürfnisse der Nutzer*innen
„Unser ehemaliger Chef hat immer gesagt: ‚Digitalisierung ist im Kern keine Technikrevolution, sondern das radikale Ins-Zentrum-Stellen des Menschen‘. Wir haben das totale Glück, dass wir ein technologieverliebtes Unternehmen sind – das hat uns in der Vergangenheit immer wieder Chancen eröffnet. Chancen, um frühzeitig Entwicklungen zu sehen, diese zu umarmen, auszuprobieren, einzubauen und so Wert zu schaffen“, fasst Oliver Markert es zusammen. „Human ist einfach ein Qualitätsmerkmal: etwas, das auf absehbare Zeit nicht weggehen wird und auch nicht weggehen darf.“
Und vielleicht ist dies der Weg, eine ganze Branche überlebensfähig aufzustellen.
Wie wird KI unsere Welt verändern?
Deutsche Bank Research durchforstet Forschung und Medien und liefert klare Einordnungen (auf Englisch).
Über Oliver Markert
Oliver Markert ist Creative Development Director bei BurdaForward. Er startete Ende der 90er als Lokaljournalist. Er publizierte für Zeitungen, Radio, TV, Nachrichten-Agenturen und auf Online-Seiten. Stets inspiriert vom digitalen Wandel ging er nach seinem Philosophie- und Psychologie-Studium zu FOCUS Online und führte dort mehrere erfolgreiche Projekte. Als Technologie-Pragmatiker umarmt er auch KI und integriert sie möglichst nahtlos in den Arbeitsalltag der BurdaForward-Kollegen.
Maike Tippmann
… verantwortet digitale Kommunikationsprojekte im Newsroom der Deutschen Bank. Worte und Sprache sind Grundlagen ihres Daseins. Lange zögerte sie zu glauben, dass künstliche Intelligenz auch kreative Prozesse übernehmen kann. Das Gespräch mit Oliver Markert half ihr, KI auch im schöpferischen Kontext als ein potentes Werkzeug zu verstehen, dessen Anbindung an echte Wirklichkeit und reales Leben aber weiterhin menschliches Wissen und vor allem menschliche Empathie erfordert.
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