wahrzeichen-woa Es ist schon dunkel, der riesige Rinderschädel auf dem Wacken Open Air brennt, der Staub kratzt in der Nase und schnürt die Lunge zu. Moni und Kevin kann das nicht bremsen. Die Hamburgerin schiebt den Sauerländer vor die Hauptbühne auf den berühmtesten Acker der Welt. Kevin strahlt. Einmal Wacken erleben war immer sein Traum – jedes Jahr wird das Dorf in Schleswig-Holstein Anfang August zur Pilgerstätte für 75.000 Fans der ganz harten Musik aus aller Welt.

Als Judas-Priest-Frontmann Rob Halford später auf einer Harley-Davidson auf die Bühne fährt, ist Kevins Glück perfekt. Links und rechts Gleichgesinnte, er ist Teil der Masse, gleichberechtigt, einer von vielen. Trotz Rollstuhl, und dank Ron Paustian, Monis Chef während des Festivals.

Paustian ist Gründer und Chef von „Inklusion muss laut sein“. Seit zehn Jahren bohrt er bei Veranstaltern in ganz Europa nach, wie Schwerbehinderte deren Konzerte, Festivals und kulturelle Veranstaltungen barrierefrei erleben können, wie alle anderen Besucher. Doch richtig Fahrt nahm seine Initiative erst 2016 auf. Damals hielt Christian Sewing die Laudatio und übergab ihm für seine Arbeit den Preis von startsocial – einem Verein, der sich der Hilfe für Helfer verschrieben hat und den Angela Merkel als Schirmherrin und die Deutsche Bank als einer der Hauptförderer unterstützt.

Als Bundespreisträger bekam Paustian zwei Mentoren aus der Wirtschaft an die Seite, mit denen er all seine Ideen sortieren konnte. Er wollte größer werden, mehr machen, und zwar „nicht aus Mitleid für Behinderte, sondern aus Spaß und purem Eigennutz – alles andere glaubt mir sowieso niemand“, wie er sagt. Denn Paustian hat selbst eine psychische Erkrankung, die es ihm unmöglich macht, große Menschenansammlungen ohne Begleitung auszuhalten.

Aus dem Projekt „Inklusion muss laut sein“ schmiedete er zusammen mit den Mentoren innerhalb von drei Monaten eine gemeinnützige Organisation. Von zu Hause aus – wenige Kilometer von Wacken entfernt – wirbt und telefoniert er rund um die Uhr, und er postet in den sozialen Medien. Das wirkt. Man spricht über ihn, die Mund-zu-Mund-Propaganda fruchtet.

Aus 350 Begleitungen im ersten Jahr wurden 550 im zweiten Jahr. In diesem Jahr werden es etwa 1000 sein.

Für seine Sache nervte Paustian auch seine Bekannten, Thomas Jensen und Holger Hübner, die vor 29 Jahren das Wacken Open Air gründeten. Mit Erfolg: Zum ersten Mal konnten Rollstuhlfahrer wie Kevin in diesem Jahr auf eigenen Wegen über das Festivalgelände fahren. Und Hörbehinderte, die meistens nur die Bässe und das Schlagzeug wahrnehmen, konnten dank einer Gebärdensprachendolmetscherin die Liedtexte verstehen. Behindertengerechte Toiletten und Duschräume gibt es schon länger. „Jedes Jahr machen sie mehr für Inklusion und Barrierefreiheit“, sagt Paustian und lächelt.

Für alles Weitere sorgen Menschen wie Moni, Kevins Lieblingsbetreuerin. Sie ist eine von europaweit 1700 Helfern („Buddies“), die Paustian in der Datenbank von „Inklusion muss laut sein“ hat. Wenn sich ein Mensch mit Behinderung bei ihm gemeldet hat und zum Beispiel auf einem Helene-Fischer-Konzert oder Techno-Fest begleitet, geschoben oder geführt werden möchte, sucht er Helfer mit ähnlichem Musikgeschmack aus, die nicht zu weit anreisen müssen und Zeit sowie vor allem Spaß daran haben. Statt Geld erhalten sie die Eintrittskarte kostenlos.

Wacken Festival Ron Paustian hat ehrgeizige Ziele: „Wir müssten 20.000 bis 30.000 Buddies haben, so dass wir jederzeit eine Begleitung organisieren können.“ Das Problem ist das Geld: „Denn dann bräuchten wir ein Büro und müssten jemanden einstellen. Mit den Spenden von derzeit 10.000 Euro im Jahr schaffen wir das nicht.“ Schon jetzt liegen die Ausgaben bei rund 28.000 Euro im Jahr. Die Lücke füllt er selbst – aus eigener Tasche und aus dem Verkauf von Stücken seiner Plattensammlung und anderen Habseligkeiten.

Auch sonst macht Paustian bisher alles alleine, die gesamte Buchhaltung und Organisation, er schreibt alle E-Mails und beantwortet Telefonate – ein Vollzeitjob. „Wenn wir mittelfristig aber mehr Projekte für Teilhabe und Barrierefreiheit umsetzen wollen, haben wir keine andere Wahl als jemanden einzustellen“, sagt Paustian. Und das kostet eben. Doch bremsen kann ihn das nicht: „Wir kämpfen weiter jeden Tag. Und so soll es auch sein, sonst wird man faul und nachlässig.“       

Startsocial ist ein bundesweiter Wettbewerb zur Förderung des ehrenamtlichen Engagements und steht unter der Schirmherrschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Unter dem Motto „Hilfe für Helfer“ vergibt startsocial jährlich 100 viermonatige Beratungsstipendien und Geldpreise an herausragende soziale Initiativen.

In jeder Wettbewerbsrunde bringen rund 500 Fach- und Führungskräfte als ehrenamtliche Coaches und Juroren ihr Wissen ein. Der Wettbewerb wird seit 2001 veranstaltet und ist damit Pionier in der Beratung ehrenamtlich getragener sozialer Initiativen in Deutschland. Die Deutsche Bank ist seit 2012 Partner des startsocial-Wettbewerbs. Über 250 Bankmitarbeiter haben sich bereits als Juror oder Coach engagiert.

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