Milliardenmarkt Metaverse? Was Investoren denken
Wer einen thematischen Aktienfonds auflegt, muss von der langfristigen Wachstumsperspektive des Marktsegments überzeugt sein. Der DWS-Fondsmanager Manuel Mühl brachte Anfang 2023 einen Metaverse-Fonds an den Start.
Aktien von etwa 200 Unternehmen haben Manuel Mühl und seine Kollegen in das Anlageuniversum ihres Fonds aufgenommen. Jede davon beobachten sie genau. Mühl kennt den Markt gut und tauscht sich ständig mit dem Management der gelisteten Unternehmen, mit Analyst*innen und Expert*innen aus. Er weiß, für viele dieser Firmen ist das Metaverse kein Strohfeuer, sondern ihre Zukunft: „Bei etlichen gehört das Metaverse zur Unternehmensstrategie. Bei anderen fragen wir: Welche Wachstumschancen für das klassische Geschäftsmodell kann das Metaverse noch zusätzlich freisetzen?“ Denn: Für alle Unternehmen im Anlageuniversum des Fonds hat das Metaverse ein „enormes Beschleunigungspotential“.
Wachstumsfelder
Vor allem in drei Bereichen sieht das Team schon jetzt einen echten Mehrwert: Rechenleistung, digitale Inhalte sowie Services und Zubehör.
Interessante Werbeoberfläche
Unternehmen werden immer mehr Geld für Online-Werbung und damit perspektivisch auch im Metaverse ausgeben. Davon sind Mühl und seine Kollegen überzeugt. Denn: In den virtuellen Welten ist die Wirkung von Marketingkampagnen zielgenau messbar. Die Nutzer*innen kommen dort mit einer Marke nicht nur in virtuellen Verkaufsräumen oder beim Nutzen digitaler Produkte in Berührung. Auch beim Übergang von einer virtuellen Welt in die nächste, in sogenannten Ladezonen, verbringt der Besucher Zeit, die ein Unternehmen nutzen kann, um für sich zu werben.
So bekommen die Anwender z.B. Gutscheine, die sie im realen Leben einlösen dürfen – oder sie könnten sich im Metaverse einen kostenlosen Restaurantbesuch in der echten Welt erspielen. Damit sind Unternehmen in der Lage, den Erfolg ihrer Werbung exakter zu messen als je zuvor. Und sie bekommen eine Menge Daten der Nutzer – Informationen, die für sie von enormem Wert sind, erklärt Manuel Mühl: „Die großen Treiber sind privatwirtschaftliche Unternehmen, deren Ziel es ist, Kunden an sich zu binden. Je mehr Leute das Metaverse verwenden, desto interessanter wird es als Werbeoberfläche.“
Wer Daten besitzt, ist strategisch im Vorteil
Ebenso wie in der realen Welt werden auch im Metaverse die Daten der Nutzer*innen eine wichtige Währung sein. Mühl sieht Parallelen zu etablierten Payback-Programmen, bei denen der Einzelhändler genau weiß, was man gekauft hat: „Wir sammeln fasziniert Punkte, für die man vielleicht eine Kaffeemaschine bekommt. Natürlich wissen wir, eigentlich ist sie nicht kostenlos. Der Preis sind unsere Daten.“ Der Nutzer und die Nutzerin müssen sich in der virtuellen Welt genauso wie in der realen bewusst sein: Unternehmen haben großes Interesse daran, noch mehr Informationen über Konsumenten zu erhalten. „Aus diesem Grund investieren die Firmen jetzt diese großen Summen, um in Form der Daten bald einen strategischen Vorteil zu haben“, sagt Mühl.
Wie kann sich der Konsument davor schützen, in den virtuellen Welten noch mehr Freiheiten abzugeben als in der realen Welt? Oder gar davor, aus dem Metaverse in die Realität getrackt zu werden? Hier sieht Mühl die Gesetzgeber in der Pflicht. Einige grundlegende Aspekte müssten bald länderübergreifend geklärt sein: „Es muss klar sein, dass niemand seine digitale Identität verlieren kann bzw. dass dies Implikationen für die Realität hat. Gebe ich beispielsweise alle Rechte ab, wenn ich auf die AGBs klicke, oder gilt schon die Tatsache, dass ich ein Headset kaufe, als konkludente Zustimmung zur Abtretung all meiner Daten? Es ist wichtig, dass wir uns hier einen klaren Ordnungsrahmen schaffen.“
Das industrielle Metaverse läuft schon – für private Nutzer geht noch mehr
Noch ist es nicht soweit, dass die virtuelle Welt die gleiche Präsenz hat wie die reale. Mühl rechnet damit, dass die technischen Möglichkeiten des Metaverse in den nächsten zehn Jahren deutlich ausgereifter sein werden. Die entscheidende Frage aber ist, ob die Nutzer diese auch annehmen. „Das Interessante ist ja, dass alle Bücher, alle Filme, alle Visionen zu diesem Thema immer in Dystopien spielen - also in einer Zeit, die niemand in der Realität erleben will. Und doch gibt es schon jetzt einige Möglichkeiten, wie die Menschen das sinnvoll in ihren Alltag integrieren können – zum Beispiel für berufliche Treffen in virtuellen Räumen.“ Die Pandemie hat hier als Beschleuniger gewirkt.
Und auch andere ganz praktische Anwendungsszenarien stehen den Nutzern jetzt schon zur Verfügung: „Als Bauherr oder Liegenschaftsverwalter können Sie sich schon vor dem Bau einer Immobilie das Headset anziehen und durch das neue, noch nicht real existierende Gebäude gehen. Dann sehen sie sofort: ‚Dieses Zimmer sollte ganz anders geschnitten sein‘, oder ‚Hier wäre das Fenster besser platziert‘."
In der Geschäftswelt sind derartige Möglichkeiten schon erfolgreich: „Solche Simulations-Konzepte werden für Geschäftsentscheidungen genutzt. Das industrielle Metaverse bietet insgesamt einen wirtschaftlichen Mehrwert und kann damit schon heute monetarisiert werden.“ Die eher privat genutzten Unterhaltungsanwendungen allerdings können erst dann profitabel betrieben werden, wenn die Anzahl der Anwender deutlich zunimmt, weiß Mühl: „Damit dies möglich wird, müssen die Preise für Headsets aber deutlich massentauglicher und der Tragekomfort der Geräte erhöht werden.“
Ein Mega-Versum – oder viele digitale Subwelten?
Wird es am Ende das eine übergeordnete Metaverse geben, in dem sich alles abspielt? So wie es eine reale Welt gibt – mit vielen Kontinenten und noch mehr Ländern –, werde es schließlich auch im Metaverse sein. „Damit das Metaverse effektiv funktionieren kann, müssen die verschiedenen Subwelten miteinander verbunden sein“, sagt Mühl. „Stellen sie sich vor, sie kaufen sich im echten Leben schicke Sneakers. Und jedes Mal, bevor sie über eine Grenze gehen, müssen Sie die Schuhe wechseln.“
Wer zum Beispiel in einer Spielwelt für echtes Geld ein digitales Gerät anschafft, der will dies nicht nur in einem begrenzten Raum nutzen können. „Wenn ich das in einer Welt kaufe, will ich das auch in der anderen verwenden – sonst ist der ökonomische Wert viel niedriger. Insofern wird man zwangsläufig irgendwann ein übergeordnetes Metaverse haben. Nur so werden diese wirtschaftlichen Applikationen auch aus Konsumentensicht attraktiv sein und sich richtig monetarisieren.“
Ein Zukunftsthema in den Startlöchern?
Eine KPMG Studie hat jüngst mit Zahlen untermauert, was Mühl aus seinen Gesprächen mit Unternehmensführern weiß. 60% der Befragten auf der oberen Entscheidungsebene haben bestätigt: Das Metaverse ist für unser Unternehmen ein wichtiges Zukunftsthema. Auf die Frage, was sie bereits in diesem Bereich machen, sagten genauso viele: Gar nichts.
Mühls Fazit: Immer mehr Unternehmenslenker erkennen, dass das Thema wichtig ist, aber die meisten haben noch keine Investitionen getätigt. „Wenn die natürlich jetzt langsam kommen – auch, weil sie gezwungen sind, dadurch dass die großen Spieler vorangehen und sie dann unweigerlich nachziehen müssen –, dann fließt natürlich noch viel mehr Kapital in das Thema. Entsprechend wird der Fortschritt, den man erzielt, wesentlich schneller sein, als man es vielleicht bisher denkt.“
Über Manuel Mühl und sein Team
Manuel Mühl (oben rechts) ist seit rund 10 Jahren in der Finanzbranche tätig. Bevor er als Aktienfondsmanager in das Technologie-Team der DWS kam, arbeitete er als Aktien-Analyst und Portfoliomanager bei verschiedenen Banken und Fondsgesellschaften. Bei der DWS verantwortet er Research-seitig die Bereiche Internet, Online-Medien und Entertainment. Mühl ist studierter Wirtschaftswissenschaftler und Mitglied der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management. Er ist Träger der Analystentitel CIIA und CEFA.
Zusammen mit seinem Kollegen Felix Armbrust managt er den im Februar 2023 aufgelegten DWS Metaverse invest. Unterstützt werden sie von Tobias Rommel und Zegun Zhang. Das Fondsvermögen wird primär in Aktien von Unternehmen investiert, deren Geschäft von der Entwicklung der digitalen Welt, insbesondere des Metaverse, profitiert bzw. derzeit damit verbunden ist.
Maike Tippmann
… verantwortet im Newsroom der Deutschen Bank digitale Kommunikationsprojekte.
Vor einigen Jahren balancierte sie mit einem der ersten VR-Headsets auf einer schmalen, auf dem Boden liegenden Holzplanke über eine tiefe Schlucht im brasilianischen Regenwald und stand dabei reale Todesängste aus. Seitdem weiß sie, wie verstörend echt sich virtuelle Erlebnisse anfühlen können.
Sie fühlt sich in der echten Welt ganz wohl und ist – bei aller Neugier mit Blick auf neue Chancen und Möglichkeiten – um einen wachen Skeptizismus bemüht. Vor allem ihre Daten, findet sie, gehören einzig und allein ihr.
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