Nach dem Hype – welche Chancen wirklich im Metaverse stecken
Medienwirksam änderte Facebook seinen Namen in Meta – und präsentierte große Pläne für das Metaverse. Viele glaubten, die Technologie würde das Leben radikal verändern. Inzwischen ist es etwas ruhiger um sie geworden. Was nach dem Hype kommen könnte.
„Alles wirkliche Leben ist Begegnung“ – sagte einst der Schriftsteller Martin Buber. Doch was, wenn sich die Art der Begegnung in Zukunft völlig veränderte? Wenn Menschen sich im Alltag deutlich weniger über den Weg liefen und sich stattdessen immer öfter in virtuellen Welten begegneten? Würde das unser Miteinander, jegliche soziale Interaktion und auch das Wirtschaftsleben verändern?
Diese Fragen stellen sich spätestens seitdem der Konzern Meta mit seinen Plänen für das Metaverse vorgeprescht ist. Die Ansichten darüber, welche Konsequenzen daraus folgen würden, gehen weit auseinander. Das zeigen nicht zuletzt unsere Gespräche mit dem Stanford-Professor Fred Turner und Liz Hyman, der Vorsitzenden der XR-Association, einer Organisation, die die Entwicklung von Augmented-Reality und Virtual-Reality-Technologien an vorderster Front vorantreibt.
Die vielen Facetten des Metaverse
Diese Ausgabe unseres What-Next-Webmagazins geht der Frage nach, welche Bereiche das Metaverse verändern könnte. Unsere AutorInnen haben völlig unterschiedliche Möglichkeiten unter die Lupe genommen: In der Kunst, im Bankgeschäft, der Mode, der Medizin und im Fußball.
Turner kritisiert, dass das Eintauchen in virtuelle Welten Menschen nicht dazu bringe, sich engagierter zu verhalten. Vielmehr stimuliere es, da es in erster Linie kommerziellen Interessen diene, den primitivsten Teil unseres Gehirns. Letztlich sieht Turner im Metaverse, wenn es an privatwirtschaftlichen Zielsetzungen ausgerichtet ist, sogar eine Bedrohung für die Demokratie. Er befürchtet, dass das Vermischen von realer und virtueller Welt eine antirationale Denk- und Handlungsweise fördern könnte. Dies sei genau nicht der Zustand, in dem Menschen eine rationale Debatte führen und Entscheidungen treffen könnten, wovon eine Demokratie aber abhänge.
Hyman blickt deutlich positiver auf das Metaverse. Sie hebt hervor, dass Unternehmen dort viel intensiver und persönlicher mit ihren Kunden, Partnern und Mitarbeitern in Kontakt treten könnten. Auch der Tatsache, dass die Aufmerksamkeit für das Metaverse zuletzt stark zurückgegangen ist, kann sie etwas Positives abgewinnen: Wenn der Hype nachlasse, werde ein realistischerer und ausgewogener Ansatz möglich.
Das haben wir in unserem Dossier überprüft. Und zwar für völlig unterschiedliche Bereiche, wie Kunst, Bankgeschäft, Mode, Medizin und Fußball. Die Suche zeigt: In den verschiedenen Branchen gibt es bereits ausgeklügelte Ideen und manch vielversprechenden Ansatz. So sieht Sabih Behzad, Leiter des Bereichs für digitale Vermögenswerte & Währungen bei der Deutschen Bank, dass große Mode-Marken bereits heute Läden im Metaverse einrichten. Behzad skizziert, wie sie dort auf bisher nicht dagewesene Art mit ihren Kundinnen und Kunden in Kontakt treten können – und was das für die reale Welt bedeutet.
Stadionatmosphäre mit TV-Kommentar
Für die Zukunft fasziniert ihn die Idee, sich Fußball-Spiele im Metaverse anzusehen. Während man sich heute zwischen dem Stadion mit einer tollen Atmosphäre und dem Fernsehen mit einem Kommentator und Wiederholungen entscheiden muss, böte das Metaverse eine Mischung: Ohne reisen zu müssen, könnte man von zuhause aus eine stadionähnliche Atmosphäre genießen. „Zusätzliche Übertragungsmöglichkeiten wie das Metaverse sind für die großen europäischen Vereine interessant, weil sie ihre Fans auf der ganzen Welt besser an sich binden können“, sagt Behzad, der selbst Fan von Manchester United ist.
Auch Künstler wie Cao Fei und LuYang könnten ihre Kunst mithilfe des Metaverse noch mehr Menschen zugänglich machen. Dabei schaffen die virtuellen Welten auch neue Möglichkeiten. „Die Grenzen zwischen dem Physischen und dem Virtuellen verschwimmen zunehmend. Beide Welten sind miteinander verwoben“, sagt Cao Fei. „Anstatt sie als getrennte Einheiten zu betrachten, werden sie oft integriert. Und das ermöglicht eine multidimensionale und immersive Begegnung, bei der die Grenzen zwischen dem Realen und dem Virtuellen verschwimmen.“
Was das Metaverse für das Banking und die Industrie bedeuten könnte
Begegnungen in den virtuellen Welten zu ermöglichen, ist auch ein Ziel von Banken. Sie wollen damit neue Wege für den Austausch mit Kunden erschließen und sie auf ihrem Weg ins Metaverse begleiten. Auch deshalb hat die Deutsche Bank bereits auf Decentraland, einer der führenden Metaverse-Plattformen, eine 3D-Lounge eröffnet und eine weitere soll bald folgen. „Im Metaverse befindet sich unsere Zielgruppe von morgen“, sagt Tim Alexander, Markenchef der Deutschen Bank.
Das gilt nicht nur für Banken, glaubt der DWS-Fondsmanager Manuel Mühl. Er brachte Anfang 2023 einen Metaverse-Fonds an den Start, in dem Aktien von etwa 50 Unternehmen aufgenommen sind. Entsprechend gut kennt Mühl den Markt. In manchem Teil der Industrie sei das Metaverse nicht mehr wegzudenken. Dabei geht es vor allem um hochkomplexe Prozesse, die man im Metaverse ohne großen Aufwand simulieren kann. Das ist deutlich billiger und weniger fehleranfällig als sie in der Realität zu erproben. Insbesondere die Medizin profitiert bereits davon: Mit VR-Anwendungen können beispielsweise operative Eingriffe geübt und Mediziner geschult werden.
Doch bis Privatleute in großem Stil die virtuellen Welten besuchen, wird wohl noch eine Weile vergehen. Laut einer Studie von Capgemini aus dem vergangenen Jahr interessieren sich neun von zehn Konsumenten weltweit für das Thema, aber nur wenige sind tatsächlich in eine virtuelle Welt eingetaucht. Mühl rechnet damit, dass die technischen Möglichkeiten des Metaverse in den nächsten zehn Jahren deutlich ausgereifter sein werden. Bis dahin bleibt den Unternehmen also noch eine Menge Zeit zu experimentieren
Georg Berger
… interessiert sich dafür, welche Möglichkeiten das Metaverse heute bietet – und wie sich die Technologie in Zukunft entwickeln wird.
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