Gegen die Plastikflut – mit KI und Unternehmergeist
CleanHub – wenn intelligente Technologie die Abfallentsorgung neu erfindet. Hier arbeiten Künstliche Intelligenz und Menschen Hand in Hand, um gegen die Plastikverschmutzung der Meere anzugehen. Das Berliner Start-up CleanHub: ein Musterbeispiel für die Zukunft?
CleanHub organisiert Abfallentsorgung in Teilen Indonesiens, Indiens, Tansanias und Kambodschas, wo es dafür noch kein System gibt. Finanziert wird dies zu zwei Dritteln durch Firmen, die für Plastikmüll mitverantwortlich sind, weil sie Plastik herstellen oder es für ihre Produkte nutzen, und zu einem Drittel von Unternehmen, die ihre Plastikverpackungen bereits auf Null reduziert haben oder komplett plastikfreie Produkte anbieten.
Plastik-Credits führen zu einem Umdenken
Diese Firmen bezahlen CleanHub für jede gesammelte Tonne Plastik und erhalten im Gegenzug sogenannte Plastik-Credits. So können sie einen Teil ihres Plastikverbrauchs kompensieren. Bekannt ist dieses Prinzip vor allem durch CO2-Zertifikate.
In den Sammelländern arbeitet CleanHub mit lokalen Unternehmen zusammen, die offiziell registriert sind und Kunststoffe und Abfall einsammeln dürfen.
Ein moderner Ablasshandel also? „Mitnichten“, betont Firmengründer Joel Tasche. „Kunden, mit denen wir zusammenarbeiten, sind sich des Problems bereits bewusst, gehen schon Schritte zur Plastikvermeidung. Darüber hinaus bringen wir sie mit Verpackungsexperten zusammen, die dabei helfen, Abfall zu reduzieren und für die Kreislaufwirtschaft zu designen. Ebenso haben sie durch die Zusammenarbeit mit CleanHub einen Anreiz, Plastik einzusparen: sie sehen Monat für Monat die Kosten für die Sammlungen in ihrer Bilanz. Die Kosten verteuern das Verpackungsbudget im Schnitt auf das Doppelte.“
Herzstück der Unternehmung ist die von Joel Tasche und seinen Kollegen entwickelte App: Diejenigen, die vor Ort den Müll sammeln, dokumentieren ihr Schaffen und machen es damit Schritt für Schritt transparent.
Vom Bodensee an die Strände Südostasiens
Die Welt rückt also zusammen auf den Rechnern von CleanHub in Berlin – und das hat auch viel mit Joel Tasches Werdegang zu tun. Am idyllischen Bodensee aufgewachsen, hat der begeisterte Sportsegler zunächst Interkulturelles Management studiert.
In seinem ersten Job entwickelte er für ein Schweizer Start-up eine Software für Fuhrpark-Management und hatte früh viel Verantwortung. „Ich habe dann sehr bald festgestellt, dass ich etwas Eigenes machen möchte, um an Themen zu arbeiten, die sinnvoll sind und die mir etwas bedeuten.“
Seine Begeisterung fürs Surfen hatten ihn immer wieder nach Südostasien geführt, wo er an den Stränden und im Meer große Mengen an Plastikmüll vorfand. „Mir wurde schnell klar, dass das nicht allein die Schuld der Leute vor Ort ist. Die Wirtschaft hat sich dort einfach rasant entwickelt, den Leuten werden plötzlich Dinge verkauft, in Plastik eingewickelt – aber es gab niemanden, der den Müll einsammelt.“
Es gab niemanden, der den Müll einsammelt.
Wachsende Müllberge und fehlende Entsorgung
Tatsächlich sind weltweit laut Schätzungen der OECD ungefähr zwei Milliarden Menschen noch nicht an eine funktionierende Abfallentsorgung angebunden, Müll landet am Wegesrand oder auf der Straße und gelangt von dort in Flüsse und Meere.
Und der Müll wird mehr, seine Menge wächst doppelt so schnell wie die Weltbevölkerung, so eine Vorhersage der Weltbank für die kommenden Jahrzehnte. Das zeigt: eine professionelle Abfallentsorgung und Recycling sind unerlässlich, um die negativen Folgen für Mensch und Natur zu reduzieren – und auch Rohstoffe und Materialien wieder in den Kreislauf zurückzuführen.
CleanHub setzt bei seiner Entsorgung nicht auf das reine Einsammeln von Wertstoffen wie PET-Flaschen, Glas oder Karton. „Es gibt Dinge, die sich eben technisch nicht recyceln lassen, wie mehrschichtige Verpackungen mit Aluminium und Kunststoffverbünde. Und die sich nicht zu Geld machen lassen. Wir sammeln grundsätzlich aber alles, was für die Natur schädlich sein kann“, macht Tasche klar.
Bewährtes System: Haushaltssammlung
CleanHub setzt dort an, wo Müll entsteht: in den Haushalten. Die Mitarbeitenden in Indonesien und Indien gehen von Tür zu Tür, sammeln Abfall und bekommen dafür Geld – für alles, was sie einsammeln.
Künstliche Intelligenz dokumentiert und analysiert Müllsammlungen
Die App dokumentiert die einzelnen Stationen: Fotos werden bei jedem Schritt hochgeladen, und die Künstliche Intelligenz analysiert sie akribisch, überprüft Gewicht, Zustand und GPS-Daten.
Sicherheitsaspekte werden ebenfalls berücksichtigt: Die KI erkennt beispielsweise Mitarbeiter ohne Arbeitshandschuhe. „Abfallentsorgung hat nicht den allerbesten Ruf, was Standards angeht, hier sind wir deshalb in einem ständigen Austausch mit unseren Kollegen und Partnern und sprechen Verbesserungen in den Audits an“, erklärt Tasche, der auch mehrfach im Jahr selbst vor Ort ist.
Transparente und überprüfbare Daten sind wichtig für unsere Kunden, die uns für jede Tonne Müll Geld zahlen.
Darüber hinaus hat CleanHub in seinen beiden größten Sammel-Märkten Indien und Indonesien auch Angestellte, die sich um diejenigen kümmern, die den Müll sammeln, und ihnen zeigen, wie sie Fotos in die App hochladen.
Was nicht ins Recycling geht, befeuert Zementwerke
In den Sortieranlagen wird dann getrennt: in Wertstoffe und Materialien, die nicht recyclefähig sind. Alles, was definitiv nicht wieder verwendet werden kann, wird verbrannt, beispielsweise in der Zementindustrie. Die Temperaturen dort sind mit 900 Grad so hoch, dass keine schädlichen Stoffe übrigbleiben. Gleichzeitig sparen die Zementwerke so an Kohle für die Sandschmelze.
Wir müssen leider sehr oft 'nein' sagen.
Hohe Nachfrage in Entwicklungsländern
CleanHub ist sehr gefragt – in vielen Gegenden möchten Kommunen mit der Firma zusammenarbeiten. „Wir müssen aber leider sehr oft 'nein' sagen – zum einen, weil wir die Gegenfinanzierung für die Sammlungen nicht haben und auch, weil wir die internationalen Arbeitsrichtlinien durchsetzen wollen in diesem Bereich. Dafür braucht es von unserer Seite aus Zeit und Leute, die das auch vor Ort überprüfen und Audits durchführen“, erklärt Tasche.
Unternehmen kommen aus den USA, Großbritannien und der EU
Bislang hat CleanHub 250 Unternehmens-Partner, die für das Sammeln des Plastikmülls bezahlen – die meisten Kunden kommen aus den USA, gefolgt von Großbritannien und der DACH-Region (Deutschland, Österreich, Schweiz). Keines der eher kleineren bis mittelgroßen Unternehmen verkauft seine Produkte allerdings direkt nach Indien, Indonesien, Kambodscha oder Tansania – sie sind also nicht unmittelbar für die Verschmutzung vor Ort verantwortlich.
Die großen Konsumgüterhersteller hatten aber in der Entwicklungsphase noch nicht angebissen – sie hatten sich skeptisch gezeigt, ob sich eine echte Transparenz der Müllsammlungen herstellen lassen könnte. Das könnte sich nun ändern. Denn dass das Team von CleanHub viel an der App getüftelt hat, zahlt sich jetzt aus: Seit Januar 2023 sind die Daten, die die App sammelt, vom TÜV SÜD verifiziert. „Ich bin gespannt, ob die großen Konsumgüterhersteller jetzt Farbe bekennen und bei uns mitmachen“, meint Tasche.
Über CleanHub
CleanHub ist ein in Berlin ansässiges Unternehmen, das KI-gestützte Technologie einsetzt, um Plastikmüll im Meer zu reduzieren, indem es Abfallrückgewinnung dort aufbaut, wo es noch keine gibt. Ihre Lösung ermöglicht es Konsumgüter-Herstellern, direkte Maßnahmen gegen eines der größten Umweltprobleme zu ergreifen.
Die Abfall-Sammlungen konzentrieren sich aktuell vor allem auf Gebiete in Asien und Afrika, die am meisten von Plastikverschmutzung betroffen sind. Mit Hilfe einer App können die Sammlungen nachverfolgt und verifiziert werden. Die KI-Technologie ist vom TÜV SÜD ISO-zertifiziert. Im Gegensatz zu alternativen Ansätzen, die sich darauf konzentrieren, Plastik aus dem Meer zu holen, möchte CleanHub verhindern, dass es überhaupt dorthin gelangt.
Die Deutsche Bank und CleanHub
CleanHub arbeitet seit seiner Gründung mit der Deutschen Bank zusammen, genauer: mit einem Experten-Team für die Tech-Branche. Das Start-up kümmert sich um eines der drängendsten Umweltprobleme: den Plastikmüll. Dabei setzt das Unternehmen auf innovatives Abfallmanagement und Recycling – mit einer zukunftsweisenden, skalierbaren, KI-basierten Technologie. Sein Finanzierungsmodell soll dafür sorgen, dass künftig weniger Plastikmüll entsteht.
„Das Team hinter der Idee hat es in einer faszinierenden Geschwindigkeit geschafft, CleanHub als Vorreiter für die Kompensation des „Plastik-Fußabdrucks“ („Plastic Footprint“) bei internationalen Konsumgüterherstellern zu etablieren und setzt dabei auf die Hausbank-Expertise der Deutschen Bank“, erläutert Rebekka Scheer, Firmenkunden-Beraterin bei der Deutschen Bank.
Timo Bergold
… verantwortet internationale Kommunikationsprojekte der Deutschen Bank. Spannend findet er, wie Kreislaufwirtschaft gekoppelt mit Digitalisierung und neuen Technologien dabei helfen kann, Ressourcen gezielter einzusetzen und damit die Natur zu schützen.
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