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18. Mai 2022
Lavinia leitet unser nachhaltiges Engagement in der Unternehmensbank und ist Mitglied der Geschäftsleitung der Unternehmensbank. Sie ist seit mehr als 20 Jahren bei der Deutschen Bank und arbeitet in Frankfurt. Ihr Spezialgebiet ist der Dialog zu ESG-Themen mit Unternehmen, von multinationalen Großkonzernen über den deutschen Mittelstand bis hin zu Kundinnen und Kunden des Business Bankings.
ESG in der Unternehmensbank: Wie sieht das konkret aus?
Es geht vor allem um den Dialog mit unseren Kundinnen und Kunden. Wir möchten verstehen, was sie beim Thema ESG benötigen, welche Strategien sie verfolgen und in welcher Zeit sie was genau erreichen wollen. Wir bringen unsere Kenntnisse über Branchen und Finanzierungen ein. Das Ziel ist, sie bei ihrer Transformation zur Klimaneutralität – also beim Netto-Null-Ziel – zu unterstützen.
Was haben Sie derzeit besonders auf dem Schirm?
Die aktuelle geopolitische Lage steht bei unseren Kunden derzeit eindeutig im Fokus, gerade bei Unternehmen. Zum Beispiel die Frage, wie man angesichts steigender Energiepreise bei der Energieversorgung unabhängiger werden kann. Wir haben hier in der Bank sehr gute Expertise dazu und können mit unseren nachhaltigen Finanzierungslösungen einen echten Mehrwert bieten.
So haben wir beispielsweise kürzlich den BASF-Konzern beim Erwerb und Bau des weltweit größten Offshore-Windparks vor der niederländischen Küste unterstützt und die Finanzierung des komplexen Projekts strukturiert. Diese Transaktion war in vielerlei Hinsicht wegweisend. Zurzeit dreht sich vieles um Energiesicherheit, und es ist das erste Mal, dass ein Unternehmen in erheblichem Umfang selbst in einen Windpark investiert, um seine Abhängigkeit von Dritten zu verringern. Gleichzeitig ist es ein wichtiger Schritt für BASF, um bis 2050 klimaneutral zu werden. Aber auch kleinere Unternehmen suchen nach Wegen, wie sie energieautarker werden können.
Was ist dabei eine der größten Herausforderungen?
Die Kunden hätten gerne eine Checkliste: feste Regeln, an die sie sich bei der Umsetzung von ESG halten können, aber das gibt es bisher nicht. Das ESG-Umfeld entwickelt sich dynamisch, es gibt noch keine standardisierte Regulierung, Rahmenwerke oder Definitionen. Wir sprechen zum Beispiel alle von ‚Transition Finance‘, aber verschiedene Interessengruppen interpretieren und verwenden den Begriff unterschiedlich.
Darüber hinaus unterscheidet sich der regulatorische Rahmen von Land zu Land, aber unsere Kunden sind weltweit tätig. Was wir also wirklich brauchen, sind international gleiche Vorgaben mit klaren, standardisierten ESG-Parametern.
Und wie behelfen Sie sich dabei?
Die Standardisierung wird Zeit brauchen. Wir können jedoch nicht warten, bis alle Details geregelt wurden, bevor wir loslegen. Ja, jeder Anfang ist mit Risiken verbunden, wenn die Dinge noch nicht in Stein gemeißelt sind. Aber es besteht auch die Gefahr, dass man den Anschluss verliert, wenn der Zug Fahrt aufnimmt und man nicht an Bord ist. ESG entwickelt sich schnell, und es gibt enorme Chancen, in diesem Bereich innovativ zu sein.
Tatsächlich bieten ESG und Nachhaltigkeit viele Möglichkeiten, auch jenseits von Innovation. Durch ESG können Kunden neue Märkte erschließen, Beziehungen zu ihren eigenen Kunden vertiefen, neue Kunden gewinnen und auch für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter attraktiver werden. Wir erleben, dass Kunden bei der Entwicklung und Transformation hin zu einem nachhaltigeren Geschäftsmodell sehr kreative Ideen und neue Geschäftsmöglichkeiten entwickeln können. Ganz zu schweigen von den technologischen Neuerungen, die diese Transformation hervorbringt.
Wie aufgeschlossen sind die Kunden der Deutschen Bank in Gesprächen über ESG?
Das Interesse ist groß: Viele Kunden wollen besser verstehen, wie sich Nachhaltigkeit auf ihre Geschäftsaktivität auswirkt und wie Banken und Kapitalmärkte mit ESG-Kriterien umgehen. Viele Kunden in Branchen mit hohem Kohlendioxidausstoß sind sich bereits der Notwendigkeit bewusst, dass sie ihre Transformationsstrategien definieren und ihre Geschäftsmodelle anpassen müssen. Für viele andere stand in den vergangenen zwei Jahren der Umgang mit der Pandemie im Vordergrund, und sie fangen folglich gerade erst damit an, sich intensiver mit Nachhaltigkeitskriterien zu beschäftigen. Die Kunden ziehen uns zu Rate, um das regulatorische Umfeld, die Sicht von Investoren und die Auswirkung von ESG auf ihre Branche zu verstehen.
Ein Teil unserer Aufgabe in der Kundenbetreuung besteht darin, unsere Kunden bei der Umsetzung ihrer ESG-Strategie zu begleiten und zu verstehen, welche Wege sie einschlagen wollen, um den Übergang zu erreichen. Dies unterstützen wir mit spezifischen Finanzierungen.
Wie sieht es mit den ESG-Fortschritten der Deutschen Bank aus?
Unser Ziel ist es, in Sachen Nachhaltigkeit und ESG an der Spitze der Entwicklung zu stehen. Als Gründungsmitglied und als erste Bank überhaupt sind wir ‚H2Global‘ beigetreten, einer deutschen Initiative zur Förderung des Wasserstoffimports nach Europa. Außerdem sind wir Gründungsmitglied der deutsch-australischen Wasserstoffallianz. Die Deutsche Bank war auch die erste Bank, die der Ocean Risk and Resilience Action Alliance (ORRAA) als Vollmitglied beigetreten ist.
Wir haben nachhaltige Finanzierungen in unser umfassendes Produktangebot integriert und es ESG-konform gestaltet. In der Unternehmensbank bieten wir Zugang zu der gesamten Produktpalette für das Treasury von Unternehmen, um Zugang zu nachhaltigen Finanzierungslösungen einschließlich der Kapitalmärkte zu bieten.
Und wir möchten unseren Kunden Lösungen für Investitionen anbieten. Diese Mittel verwenden Unternehmen zum Erwerb, zur Modernisierung und Instandhaltung von Sachanlagen wie Grundstücken, Gebäuden, Technologie oder Ausrüstung, und auch diese Investitionen müssen dann ESG-konform sein.
Jedem Kunden mit Finanzierungsbedarf werden sich irgendwann ESG-Fragen stellen. Daher müssen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit Kunden Kontakt haben, ESG und die dazugehörigen Treiber verstehen und in diesem Bereich Wissen aufbauen. Das bedeutet, dass Mitarbeiterschulungen zum Thema ESG von zentraler Bedeutung sind, und zwar nicht nur für die Kundenbetreuung, sondern auch für die Produktentwicklung und die Abwicklungsbereiche.
Als Konzern haben wir zudem vor Kurzem erstmals die finanzierten Emissionen unseres Unternehmenskreditportfolios offengelegt und damit unseren aktuellen Status der finanzierten Emissionen aufgezeigt, die wir derzeit unterstützen. Dies ist ein wichtiger erster Schritt zu mehr Transparenz. Er verdeutlicht auch, warum es wichtig ist, die Ziele zu verstehen, die sich unsere Kunden gesetzt haben, da sie wiederum unsere eigenen ESG-Ziele beeinflussen. Darüber hinaus haben wir unsere Zusage bekräftigt, bis Ende dieses Jahres die Netto-Null-Ziele für unsere wichtigsten CO2-intensiven Portfolios zusammen mit den Zwischenzielen für 2030 zu veröffentlichen.
Und mit Blick auf die Zukunft haben wir gerade bekanntgegeben, dass wir für einen Kunden unser erstes Programm zur Lieferkettenfinanzierung arrangieren werden, das an Nachhaltigkeitskriterien gebunden ist.
Wie geht es weiter mit der ESG-Finanzierung und -Regulierung?
Das Netto-Null-Ziel erfordert erhebliche Investitionen in die Transformation und Dekarbonisierung von Geschäftsmodellen. Einige davon werden Neuinvestitionen sein, andere Umschichtungen, die in nachhaltige Prozessentwicklungen oder weniger treibhausgasintensive Prozesse fließen. Dies wird branchenübergreifend viele Innovationen hervorbringen, mit neuen technologischen Fortschritten und interdisziplinärer Zusammenarbeit, was besonders spannend ist. Die Tatsache, dass so viele Interessengruppen aus verschiedenen Disziplinen gemeinsam an ESG-Lösungen arbeiten, macht den Bereich nachhaltiger Finanzierung und ESG so außergewöhnlich.
Ebenso werden wir einen verstärkten Diskurs über verantwortungsvolles Eigentum und einen Stilllegungsprozess von kohlenstoffintensiven Anlagen benötigen. In der Vergangenheit haben einige Marktteilnehmer versucht, ihre Emissionsbilanz durch den Verkauf kohlenstoffintensiver Anlagen zu verbessern. Es stellt sich jedoch die Frage, ob ein Verkauf und Weiterbetrieb durch andere Betreiber wirklich zu einer verantwortungsvollen Dekarbonisierung führen, da graue oder private Märkte weniger transparent oder überwacht sind – dies wird uns nicht unbedingt dabei helfen, das Netto-Null-Ziel zu erreichen.
In Bezug auf die Regulierung erwarten wir in diesem Jahr mehr Klarheit und Details von der Europäischen Union in Bezug auf eine Soziale Taxonomie und, später, im Bereich Transformation. Wir werden also mehr standardisierte Richtlinien darüber haben, was beispielsweise als soziale Kriterien angesehen wird. Es wird auch eine Standardisierung für grüne Anleihen eingeführt, die in Zukunft ein Goldstandard für grüne Anleihen sein wird.
Bislang liegt der Schwerpunkt auf dem „E“ von ESG – wie sieht es mit dem „S“ und dem „G“ aus?
Europa hat sich bisher stark auf die Dekarbonisierung konzentriert, die nur ein Aspekt von „E“ ist. Der Fokus erweitert sich nun auf weitere Umweltaspekte wie Biodiversität und Bodenversiegelung, die beide stark mit dem Klimawandel verknüpft sind.
Die Pandemie und der Angriffskrieg gegen die Ukraine haben jedoch einen echten Handlungsbedarf bei vielen sozialen Aspekten geschaffen. Wir haben gesehen, welche verheerenden Auswirkungen diese Ereignisse auf die Menschen haben; zum Beispiel auf Kinder, deren Bildung und psychische Gesundheit stark beeinträchtigt werden. Wir beobachten, dass immer mehr Kunden Initiativen und Projekte ins Leben rufen, um diese Probleme anzugehen.
Tatsächlich sind Kunden jetzt dabei, ihren Fortschritt in Sachen Umwelt, Soziales und guter Unternehmensführung mit ihrer Finanzierung zu verknüpfen, was wir wiederum durch nachhaltigkeitsbezogene Transaktionen und Strukturen unterstützen können. Dabei legt ein Kunde ESG-Ziele fest, die er erreichen möchte, und integriert sie in seine Finanzierung, um sein Engagement für seine Nachhaltigkeitsstrategie zu unterstreichen.
Diese Interviewserie ist Teil unseres neuen – zunächst nur englischsprachigen – externen Newsletters „ESG Quarterly“, den Sie auf unserer Webseite abonnieren können.
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