UNEP Steven Stone

„Kreislaufwirtschaft ist alternativlos. Und Fairness ist der Schlüssel.”

Unser Wirtschaftssystem funktioniert wie ein Verbrenner, sagt Steven Stone von der UNO – und ist eine sehr ineffiziente Form der Wertschöpfung. Warum nicht alles, was billig scheint, wenig kostet. Und warum Fairness über unsere Zukunft entscheidet.

Steven, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, sagt: „Die Kreislaufwirtschaft ist der Durchbruch, den wir brauchen.“ Warum ist das so?

Wir können unseren massiven Verbrauch an natürlichen Ressourcen nur verringern, indem wir mehr Kreislaufwirtschaft betreiben und damit Materialien länger im Fluss halten. Dann haben wir weniger Emissionen, weniger Abwässer, weniger Giftstoffe und Verschmutzung; wir haben auch weniger Rohstoffabbau und damit weniger Naturzerstörung. Mit mehr Kreislaufwirtschaft können wir die Herausforderungen von Klimawandel, Naturzerstörung und Umweltverschmutzung gleichzeitig angehen. Der Weg ist alternativlos, auch wenn es nicht ohne Schmerzen gehen wird.

Worin besteht der Schmerz? Müssen wir das Prinzip des Wirtschaftswachstums aufgeben?

Wir brauchen Wachstum nicht zu verteufeln. Stattdessen müssen wir fragen: Was wollen wir wachsen lassen? Und was soll weniger wachsen? Vielleicht wollen wir weniger Kohlekraftwerke, dafür mehr Wachstum in Zukunftsfeldern wie erneuerbare Energien, öffentlicher Verkehr oder E-Mobilität.

Und dann ist da noch die Frage, woran wir das Bruttoinlandsprodukt (BIP) eigentlich messen. Es gibt Bereiche der Wirtschaft, die Wert schaffen, und Bereiche, die Wert reduzieren. Wenn wir echten Wert wachsen lassen, wachsen damit Qualifikation, Gesundheit, Wohlbefinden. Alles sehr positiv. Gleichzeitig müssen wir das Klima wieder unter Kontrolle bringen, denn es wird jedem von uns extrem hohe Kosten aufbürden – vor allem denjenigen, die es sich am wenigsten leisten können, sich vor diesen Kosten zu schützen.

Wir müssen fragen: Was wollen wir wachsen lassen?

Und wie kann eine Kreislaufwirtschaft dazu beitragen, Wachstum und Klimaschutz in ein gesundes Gleichgewicht zu bringen?

Wachstum ist in der Regel stark mit Rohstoffverbrauch verbunden. Nach Angaben des International Ressource Panel lag der weltweite Verbrauch von Rohstoffen wie Eisenerz, Erdöl und Mangan 1970 bei rund 27 Milliarden Tonnen. Im Jahr 2020, fünfzig Jahre später, ist diese Menge auf rund 100 Milliarden Tonnen angewachsen. Und diese gewaltige Menge belastet das Klima, die Natur und die Umwelt. Für die Produktion von 10.000 US-Dollar Bruttoinlandsprodukt wird also etwa eine Tonne Rohstoffe benötigt wird. Oder etwa ein Kilo Rohstoffe für jeden Dollar BIP – das ist nicht sehr zirkulär oder effizient.

Viel davon geht buchstäblich in Rauch auf?

Das meiste davon geht tatsächlich verloren, wird verbrannt oder versickert. Nur sehr wenig wird weiter genutzt. So funktioniert eine lineare Wirtschaft: Sie arbeitet wie ein Verbrenner. Das ist eine sehr ineffiziente Art der Wertschöpfung. Wir verbrennen unsere Ökosysteme.

Wir verbrennen unsere Ökosysteme.

Das klingt erschreckend. Aber reicht das, um uns Menschen zu überzeugen, dass wir etwas ändern müssen? Viele verstehen unter einem nachhaltigen Leben eine Welt voller Einschränkungen – kein Fleisch mehr, keine Flugreisen, keine Einwegverpackungen.

Es geht nicht um Einschränkungen – es geht um Fairness. Das Ziel ist ja nicht, von den Menschen zu verlangen, dass sie keinen Urlaub mehr machen. Das Ziel muss sein, Urlaub zu machen, aber dabei auf andere Menschen und deren Freiheiten Rücksicht zu nehmen. Wir mögen es, zu konsumieren, wir mögen unsere Freiheiten – aber wir haben einen Punkt erreicht, an dem unsere Freiheiten und unsere Konsumgewohnheiten an Grenzen stoßen, weil sie andere beeinträchtigen. Da kommt es zu Gegenreaktionen. 

Schauen Sie sich nur einmal die reinen Zahlen an: Der durchschnittliche weltweite CO2-Ausstoß liegt derzeit bei etwa acht Tonnen pro Kopf. Das ist ungefähr der europäische Durchschnitt. Einige Länder liegen jedoch bei 20, 30, 40 Tonnen pro Kopf. Und es gibt andere – zum Beispiel in Afrika und Indien –, die weniger als drei Tonnen pro Kopf ausstoßen. Der weltweite Durchschnitt muss aber runter auf 2,8 Tonnen pro Kopf. Um dies zu erreichen und unsere Freiheiten zu behalten, ohne die von anderen zu beschränken, müssen wir umdenken und neue Wege finden. Insbesondere für jene Länder, die es schwer haben, bei den derzeitigen Emissionsniveaus ihre Grundbedürfnisse zu decken.

In der Konsequenz bleibt es dabei, dass viele Menschen ihren Lebensstil ändern müssen.

Wir müssen Wege finden, Wohlstand zu schaffen, die fair sind und die Freiheit aller Menschen gedeihen lassen. Wahlfreiheit ja, aber nicht auf Kosten der Freiheit anderer. Es geht also nicht darum, den Menschen etwas zu verbieten oder ihnen ein schlechtes Gewissen zu machen. Vielmehr geht es darum, innovative Wege zu finden, um innerhalb der Begrenzungen unserer Erde Fülle zu schaffen. Und Innovation bietet riesengroße Chancen.

Steven Stone beim World Circular Economy Forum 2023 in Helsinki

Steven Stone beim World Circular Economy Forum 2023 in Helsinki.

Es geht darum, innovative Wege zu finden, um innerhalb der Begrenzungen unserer Erde Fülle zu schaffen.

Denken Sie da in erster Linie an Technologie?

Ich glaube nicht, dass Technologie allein alles lösen wird, und sie wird auch nicht allein für Fairness sorgen. Technologie kann Menschen zu nachhaltigem Wohlstand verhelfen, aber sie muss transparent sein und den Grundsätzen guter Governance entsprechen, also von Verantwortung geprägt sein.

Lassen Sie es uns greifbarer machen. Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

Nehmen Sie Plastik, ein vermeintlich billiges Produkt. Wir produzieren 400 Millionen Tonnen davon pro Jahr, wir benutzen es, und dann schmeißen wir es weg. Der Schaden, der durch die Plastikverschmutzung entsteht, wird auf 300 bis 600 Milliarden US-Dollar pro Jahr geschätzt. Das sind etwa 1.000 US-Dollar an externen Effekten für jede einzelne Tonne Plastik. Und nichts davon ist eingepreist; diese Kosten werden in die Zukunft verlagert. 

Dazu gehören auch massive Schäden für die menschliche Gesundheit. Kunststoffe zerfallen in Mikropartikel und dann in Nanopartikel, die unser Fortpflanzungssystem und unsere kognitive Entwicklung stören. Plastik findet sich in der Muttermilch, in Bergseen und auf dem Meeresgrund. Delfine ersticken daran, Wale haben es in ihrem Bauch. Das ist ekelerregend. 

Die meisten Menschen sind sich einig, dass Plastik ein riesiges Problem darstellt und dass wir dringend Regulierung brauchen. Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen verhandeln derzeit über ein hoffentlich bald international verbindliches Rechtsinstrument, das nicht nur regelt, was wir gegen die Vermüllung der Weltmeere durch Plastik unternehmen, sondern bereits die Massenproduktion von Plastik und seinen chemischen Bestandteilen reguliert.

Die Einpreisung externer Effekte wäre zumindest ein Teil der Lösung? Dass also der Preis eines Produktes die wahren Kosten widerspiegelt?

Nur ein Teil der Lösung, und kein einfacher, denn es ist wie mit der CO2-Steuer. Wenn man zu Vollkostenpreisen übergeht, ist das definitiv ein Weg, um echte Marktbedingungen zu schaffen. Das ist gut für die Nachhaltigkeit, weil es die vollen Kosten der Ressource widerspiegelt – aber politisch ist es ein schwieriges Unterfangen. 

Solange wir Preise haben, die weder Knappheit noch reale Kosten widerspiegeln, wird es diese Verzerrungen in der Wirtschaft immer geben. Wir sind so sehr an billiges Plastik gewöhnt. Wir sind an billiges Öl gewöhnt. Wir haben uns an billige Lebensmittel gewöhnt. Aber die Wissenschaft sagt uns, dass fossile Brennstoffe nicht billig sind. Plastik ist nicht billig. Und viele der Lebensmittel, die wir produzieren und die sehr billig scheinen, haben ebenfalls eine Menge Nebenwirkungen.

Das ist gut für die Nachhaltigkeit, weil es die vollen Kosten der Ressource widerspiegelt – aber politisch ist es ein schwieriges Unterfangen.

Wie kann unser Wirtschaftsmodell also auf die vollen, die „wahren“ Kosten umgestellt werden?

Genau darüber müssen wir sprechen – insbesondere mit den Finanzinstituten, den multilateralen Entwicklungsbanken und auch den Banken der ‚Finance Initiative‘ der UNEP (Umweltprogramm der Vereinten Nationen). Ein Großteil der freiwilligen Arbeit, die hier geleistet wird, ist wirklich vielversprechend. Die Principles for Responsible Banking zum Beispiel, die Net-Zero Banking Alliance.

Klingt so, als ob sogar die Gesetzgebung schneller sein könnte....

Nehmen Sie PFAS, eine sehr giftige Gruppe von Chemikalien – die sogenannten „ewigen Chemikalien“. Anstatt eine pauschale Steuer auf alle Kunststoffe zu erheben, kann man die Gesetzgebung nutzen, um jene Teile zu eliminieren, die am schädlichsten sind. Es gibt also eine ganze Reihe von Instrumenten, die wir nutzen können, und genau diese werden mit dem Plastikvertrag auf den Verhandlungstisch gelegt.

Plastik ist offensichtlich ein zentrales Thema. Konzentriert sich die UNO daneben auf weitere Ressourcen, Materialien oder Branchen?

Ein Beispiel ist Energie, die auf fossilen Brennstoffen basiert. Die Energiewende ist weltweit ein Thema, nicht nur in Deutschland. Es gibt Partnerschaften für die Energiewende, zum Beispiel mit Indonesien und Südafrika, und es gibt viel Unterstützung für Länder, die sich von fossilen Brennstoffen abwenden wollen.

Ein zweites Beispiel sind Mineralien. Es gibt eine unglaubliche Nachfrage nach Kobalt, Magnesium, Lithium – nach Mineralien, die für den Übergang zu erneuerbaren Energien gebraucht werden, denn es kommt jetzt darauf an, dass wir Energie gut speichern können.

Ein drittes Beispiel ist der verantwortungsvolle Bergbau. Was bleibt zurück, wenn in einer Mine alle Bodenschätze abgebaut sind, denken Sie beispielsweise an Abraum und Giftstoffe. Wie kann man Mineralien besser im Kreislauf halten? Die Antwort liegt im Recycling von Batteriematerialien, anstatt ständig neue abzubauen. All diese Ideen bringen derzeit viele Innovationen hervor und die sind wirklich faszinierend.

Apropos Recycling: Brauchen wir finanzielle Anreize für die Verbraucher, diese Ressourcen zurückzugeben?

Jeder weiß, wie wertvoll die Materialien z.B. in alten Smartphones sind, aber oft scheint es bequemer, unser altes Gerät in die hinterste Schublade zu stopfen.

Es gibt einen sehr interessanten Trend namens Erweiterte Herstellerverantwortung (EPR). Sie nimmt den Hersteller in die Pflicht: Wer einen Artikel produziert, ist für ihn verantwortlich – für die Lieferkette genauso wie für seinen Verbleib. So wird die Verantwortung nicht mehr auf den Verbraucher abgewälzt. So nimmt man dem Konsumenten auch das Schuldgefühl. Nun muss ein Handyhersteller ein Produkt herstellen, hinter dem er voll und ganz steht. 

Das gibt einen Anreiz, ein Gerät herzustellen, das so lange wie möglich hält und bei dem alle Bestandteile wieder genutzt werden.

Die Verantwortung wird nicht mehr auf den Verbraucher abgewälzt.

Ist das der Königsweg in die Kreislaufwirtschaft?

Ja, denn es verändert die Dynamik in Bezug auf die Ressourcennutzung, die Ressourceneffizienz, die Anreize für die Langlebigkeit eines Produkts. Güter werden dadurch umweltfreundlicher. Ein Beispiel: Um ein Elektroauto herzustellen, braucht man zwölfmal so viele Ressourcen wie für einen Verbrenner. Das liegt an den benötigten Mineralien. Wenn jeder sein eigenes Elektroauto hat, tut man nicht wirklich etwas für die Umwelt. Aber wenn sich zehn oder 20 Personen ein E-Fahrzeug teilen, schrumpft der Fußabdruck. Das zeigt auch: Bei den Verbrauchern sollte sich die Perspektive vom Besitzen zum Nutzen verschieben, und dieser Trend läuft ja bereits, Stichwort „Asset as a Service“. Das ist eine wirkliche Veränderung.

Wir brauchen also eine Menge innovativer Köpfe – nicht nur für neue Technologien, sondern auch für neue Konzepte.

Man ist dann innovativ, wenn man den Veränderungsdruck spürt und gleichzeitig die Chancen sieht! Ich bin sicher, dass es eine Generation von Unternehmern gibt, die diese Durchbrüche finden werden, die die Kreislaufwirtschaft vorantreiben und gleichzeitig gut für den Planeten sind. Angefangen beim Produktdesign bis hin zu „null Müll“.

Wo wir gerade von den Chancen sprechen: Wo sehen Sie die größten Potenziale im Hinblick auf ein Kreislaufwirtschaftsmodell?

Vor allem in den fünf Branchen mit dem größten ökologischen Fußabdruck: Energie, Gebäude und Bauwesen, Lebensmittel, Mobilität und Industrie. Diese Sektoren machen zusammen etwa 80 Prozent unseres Fußabdrucks auf Klima, Natur und Umwelt aus. Lebensmittel übrigens zu fast einem Drittel. 

Da diese Sektoren auch sehr kapitalintensiv sind, braucht man Investitionen, und Investoren brauchen eine gewisse Sicherheit, dass sie auf das richtige Pferd setzen. Übrigens schaffen diese Investitionen ganz nebenbei auch Arbeitsplätze.

Sie erwähnen die Investoren: Wie groß ist deren Einfluss?

Investoren mit langfristigem Horizont sind ganz wichtige Akteure des Wandels. Nehmen Sie den Pensionsfonds der Church of England: In Brasilien gab es ein Bergwerksunglück, bei dem die Abraumhalde zusammenbrach und 300 Menschen ums Leben kamen. Daraufhin beschloss die Church of England, nicht mehr in Bergbauunternehmen zu investieren, die keine hohen Standards für Abraumbeseitigung anwenden. Solches Handeln zieht Kreise. Die Church of England hat zusammen mit UNEP und anderen Partnern ein Institut gegründet, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Sicherheitsstandards der Bergbauindustrie voranzutreiben, das Global Tailings Management Institute (GTMI).

Investoren mit langfristigem Horizont sind ganz wichtige Akteure des Wandels.

Haben Sie noch ein anderes Beispiel?

Die Minimierung von Risiko ist ein wichtiger Treiber. Nehmen wir noch einmal Kunststoff: Laut einem Bericht ist das potenzielle Haftungsrisiko für Rechtsstreitigkeiten enorm, bis zu 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Das sind signifikante, ganz reale Kosten. Lebensmittelkonzerne wie Unilever oder Danone, die täglich mit Kunststoffen umgehen, haben sich daher dem Global Commitment angeschlossen, das von der Ellen MacArthur Foundation in Zusammenarbeit mit dem UNEP geleitet wird. Dessen Ziel ist die Förderung einer Kreislaufwirtschaft für Plastik. Lebensmittelkonzerne sind sehr anfällig für mögliche Reaktionen der Verbraucher – denn jede Coca-Cola-Flasche auf der Straße ist schlecht für Coca-Cola.

Glauben Sie, dass der Druck der Verbraucher groß genug ist?

Ist er nicht. Es gibt dieses Spannungsfeld: „Das Ende der Welt“ versus „das Ende des Monats“. Die Menschen müssen jeden Monat ihre Rechnungen bezahlen. Selbst in einkommensstarken Ländern, in denen die Menschen das Richtige tun wollen und wissen, dass ihr Lebensstil nicht umweltverträglich ist, gilt: Auch sie werden von der Realität angetrieben. Müssen ihre Familie ernähren. Das ist ihr Alltag. 

Aber die Folgen dieses Lebensstils werden immer realer und greifbarer. Sie beeinträchtigen unser Wohl, sie schaden unserer Gesundheit. Diese Zusammenhänge müssen wir besser aufzeigen.

Wenn es in reichen Ländern schon schwierig ist, wie muss es dann erst in ärmeren Ländern sein?

Es ist legitim, die Frage zu stellen: „Was habe ich davon, wenn ich zirkulär wirtschafte?" Stellen Sie sich vor, Sie leben in einem Land, das reich an Bodenschätzen ist, und Sie haben noch nicht damit begonnen, diese systematisch zu fördern. Ihre Absicht könnte sein, so viele Mineralien wie möglich zu exportieren, weil dieses Modell immer noch profitabel ist. Das ist ein weiterer Grund, warum wir über Fairness nachdenken müssen. Insbesondere für Länder mit niedrigem Einkommen, die reich an Mineralvorkommen oder anderen Ressourcen sind, die sie zu Geld machen wollen, stellt sich diese Frage ganz akut.

Wer oder was hat also den größten Einfluss, wenn es uns mit der Kreislaufwirtschaft wirklich ernst ist? Ist es staatliche Regulation? Sind es die Unternehmen? Die Banken?

Es kann nur in einer Art „alle Mann an Deck"-Ansatz gelingen. Natürlich gehören Initiativen wie die erwähnten Prinzipien für verantwortungsvolles Bankwesen dazu – eine Initiative der UNEP-FI, die Finanzmittel auf das Erreichen der Ziele für nachhaltige Entwicklung und des Pariser Klimaabkommens ausrichten will.

Es kann nur in einer Art „alle Mann an Deck"-Ansatz gelingen.

Auch die Wissenschaft spielt eine zentrale Rolle, denn in unserer Zeit, die von Falschinformationen und künstlicher Intelligenz geprägt ist, brauchen wir eine verlässliche Wissenschaft, die uns leitet. Wir vom UNEP legen sehr viel Wert auf die Glaubwürdigkeit und die Legitimität der Wissenschaft. 

Entscheidend sind aber auch politische Vorreiter, die den Weg weisen und den politischen Rahmen ganzer Branchen von Grund auf erneuern. Es geht nicht darum, die Industrie zu ersticken oder Unternehmergeist zu unterdrücken; es geht darum, den unternehmerischen Geist so zu lenken, dass die Marktkräfte in Wirtschaft, Industrie und Finanzwesen in eine Richtung wirken, die gut für die Umwelt und die Gesellschaft ist.

Können Marktkräfte überhaupt „fair“ sein? Funktionieren Märkte so?

Mit der Frage der Fairness muss man sich intensiv auseinandersetzen. Die zehn größten Unternehmen der Welt nach Marktwert sind allesamt Technologieunternehmen. Und auch Reichtum konzentriert sich in den Händen von immer weniger Menschen. Fairness ist also ein echtes Problem, denn wenn es nicht gelingt, den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft fair zu gestalten, wird es meiner Meinung nach überhaupt keinen Übergang geben.

Damit Kreislaufwirtschaft wirklich funktioniert, müssen wir uns um Fairness kümmern und brennende Fragen beantworten: Wie wirkt sich das auf die Arbeitsplätze aus? Wie wirkt sich das auf die Einkommensverteilung, auf Mieten und Einnahmen aus Rohstoffen aus? Ganz zu schweigen von einer noch umfassenderen Betrachtung von Vermögen.

Wenn es nicht gelingt, den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft fair zu gestalten, wird es meiner Meinung nach überhaupt keinen Übergang geben.

Was meinen Sie damit?

Wir müssen alle Werte erfassen – alle Straßen, Brücken, Gebäude, alle Vermögenswerte in der ganzen Welt. Und ebenso müssen wir Natur und Humankapital beziffern. Wir erkennen, dass das Humankapital zunimmt, das Sozialkapital, denn mehr Menschen erhalten eine Ausbildung und profitieren von einem verbesserten Gesundheitssystem. Auch das produzierte Kapital wächst – aber das Naturkapital nimmt ab. Wir liquidieren natürlichen Wohlstand, um produzierten Wohlstand und sozialen Wohlstand zu schaffen.

Während dies geschieht, steigt das Privatvermögen in fast allen OECD-Ländern rapide an, gleichzeitig sinkt das öffentliche Vermögen signifikant. Einige Länder weisen mittlerweile einen negativen Staatshaushalt auf. Mit anderen Worten: Ihr Vermögen ist weniger wert als ihre Verbindlichkeiten. 

Was passiert mit der Regierungsfähigkeit, wenn man einen negativen Staatshaushalt hat? Und wie definiert und verwaltet man überhaupt Vermögen, auch privates Vermögen? Und was ist die Verantwortung des Privatvermögens? Hier kann die Finanzbranche eine Schlüsselrolle spielen.

Wie könnte diese denn aussehen?

Finanzinstitute sind von Natur aus beweglich, sehr intelligent und haben eine wichtige Rolle zu spielen. Sie müssen proaktiv tätig werden. Die Deutsche Bank und alle ihre Wettbewerber und alle ihre Investoren, alle ihre Kunden. 

Im Herbst wird Generalsekretär Guterres einen Klimagipfel abhalten, und im Dezember findet eine weitere COP-Klimakonferenz statt. All dies sind Gelegenheiten, in denen man Führungsstärke zeigen kann: Die Deutsche Bank, UNEP, die Vereinten Nationen, der private Sektor, die politischen Entscheidungsträger. Wir konzentrieren uns auf die Momente, in denen sich die Gelegenheit bietet, tatsächlich etwas zu verändern. Und wenn wir darauf fokussiert bleiben, können wir Wandel bewirken.

Dieses Interview wurde geführt von Maike Tippmann. 09/2023

Die Deutsche Bank und die Principles for Responsible Banking

Unsere Nachhaltigkeitsstrategie berücksichtigt internationale Abkommen wie die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen und das Pariser Klimaabkommen. Wir verpflichten uns, international anerkannte Prinzipien zu befolgen, einschließlich der zehn Prinzipien des UN Global Compact, der UN-Prinzipien für verantwortungsbewusstes Bankwesen und der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte.

Im Jahr 2008 waren wir (über die DWS) Unterzeichner der Principles of Responsible Investment. Seit 1992 sind wir Mitglied der UNEP FI – der Finanzinitiative des Umweltprogramms der Vereinten Nationen.

G20 Gipfel Steven Stone

Über Steven Stone

Steven kam 2010 im Vorfeld der Rio+20-Konferenz zum Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP). Dort leitete er die Abteilung für Wirtschaft und Handel sowie die Abteilung für Ressourcen und Märkte. Er gründete und gestaltete wichtige Initiativen mit: die Green Economy Initiative, die Economics of Ecosystems and Biodiversity (TEEB), die Green Growth Knowledge Partnership und die Partnership for Action on Green Economy (PAGE). Diese wird von entscheidender Bedeutung für die Umsetzung der mittelfristigen UNEP-Strategie sein. 

Bevor er zu UNEP kam, arbeitete Steven bei internationalen Banken, darunter der Weltbank. Er erwarb Abschlüsse in Ressourcenökonomie an der Cornell University und schloss seinen BA mit Auszeichnung am Swarthmore College (USA) ab. Steven ist Autor und Co-Autor zahlreicher Zeitschriftenartikel und Blogs im Bereich Umwelt- und Ressourcenökonomie. Er ist US-amerikanischer und französischer Staatsbürger, verheiratet und hat vier Kinder.

Maike Tippmann

Maike Tippmann

… verantwortet digitale Kommunikationsprojekte im Newsroom der Deutschen Bank.

Als Jugendliche hat sie „Faktor 4“ gelesen und verstanden, dass wir die Möglichkeiten unseres Planeten schon seit langem überstrapazieren. Und obwohl sie sehr bewusst konsumiert, ist sie nach jedem Einkauf bestürzt, wieviel Müll übrigbleibt. Das Interview mit Steven Stone hat ihr Mut gemacht, dass gesundes Wachstum möglich ist – wenn alle Akteure gemeinsam einen Gang hochschalten.

Empfohlene Inhalte

Wachstum mit Verantwortung | Standpunkt

Warum Kreislaufwirtschaft unsere Zukunft ist Warum Kreislaufwirtschaft unsere Zukunft ist

Hohe Energiekosten, fragile Lieferketten und politische Risiken: Rebecca Tauer vom WWF erklärt, wie die Kreislaufwirtschaft helfen kann.

Warum Kreislaufwirtschaft unsere Zukunft ist So läuft's rund

Wachstum mit Verantwortung | Fotostory

Gegen die Plastikflut – mit KI und Unternehmergeist Gegen die Plastikflut – mit KI und Unternehmergeist

Beim Start-up CleanHub arbeiten Künstliche Intelligenz und Menschen Hand in Hand, um weltweit gegen die Plastikverschmutzung der Meere anzugehen.

Gegen die Plastikflut – mit KI und Unternehmergeist Weniger im Meer

Wachstum mit Verantwortung  | Kurz & knapp

Auf dem Weg in die Kreislaufwirtschaft? Auf dem Weg in die Kreislaufwirtschaft?

Welche Länder heute schon fleißig recyceln, was besonders häufig weggeschmissen wird und wie sich der Markt entwickeln könnte.

Auf dem Weg in die Kreislaufwirtschaft? Eine Übersicht

What Next: Unsere Themen

Link zu Wachstum mit Verantwortung
Link zu Digitaler Umbruch
Link zu Unternehmerischer Erfolg