LKW – wenn niemand mehr am Lenkrad sitzt
Deutschland fehlen Kraftfahrer*innen. Im Güterverkehr sind es laut Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmen etwa 70.000. Und Besserung ist nicht in Sicht: Für die 30.000 Fahrerinnen und Fahrer, die jedes Jahr in Rente gehen, rücken nur 15.000 nach. Sind autonom fahrende LKW die Lösung? Das Unternehmen FERNRIDE hat dafür Technologien und Software entwickelt, die bereits auf Werksgeländen großer Logistik-Konzerne im Einsatz sind.
Ab wann LKW selbststeuernd auf unseren Straßen unterwegs sein werden, wie sich das Berufsbild wandeln könnte und welche Vorteile es hat, ein Logistik-Start-up in Europa zu gründen, dazu äußert sich Hendrik Kramer, Mitgründer und CEO von FERNRIDE, im Interview.
Herr Kramer, wann werden die ersten Laster ohne Fahrerinnen und Fahrer auf Deutschlands Autobahnen unterwegs sein?
Das wird noch dauern, denn zunächst muss die Technologie weiterentwickelt und der gesetzliche Rahmen geschaffen werden. Aber dann könnten die ersten autonomen und fernüberwachten Lkw unterwegs sein – nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt. Bei FERNRIDE setzen wir dort an, wo wir die Herausforderungen der Logistikbranche schon heute lösen können: autonomes, elektrisches Fahren in Logistikzentren, Produktionsanlagen und Container-Terminals. Wir setzen auf eine Kombination aus künstlicher und menschlicher Intelligenz – sozusagen das Beste aus zwei Welten. Das nennen wir „human-assisted autonomy“.
Zwar werden LKW irgendwann so weit sein, dass sie in 99 Prozent aller Fälle autonom fahren können. Für besonders schwierige Situationen sind aber immer Menschen in einem Überwachungsraum, dem „Control Center“ nötig, die eingreifen können.
Welche Situationen sind das konkret?
Vor allem neue oder unbekannte Situationen. In diesem Fall hält das Fahrzeug an, um einen sicheren Zustand herzustellen. Um den Entscheidungsprozess zu beschleunigen, kann das Fahrzeug Hilfe vom sogenannten „Remote Operator“ anfordern. Dieser kann entweder grünes Licht für die Weiterfahrt geben oder das Problem selbst lösen und das Fahrzeug aus der Ferne bedienen.
Unsere Kunden in der Logistik brauchen 100-prozentige Zuverlässigkeit - und die können wir mit unserem Produkt bieten.
Wo wird die Technik aktuell getestet, wenn die Fahrzeuge noch nicht auf Straßen unterwegs sind?
Aktuell laufen Kooperationen und Projekte auf den Werksgeländen verschiedener Logistikunternehmen, dazu zählen zum Beispiel DB Schenker, Volkswagen oder HHLA (Hamburger Hafen und Logistik). Das sind private Gelände, die sich gut kontrollieren lassen.
Wir haben unsere Technologie mit Firmen aus der Logistik-Branche entwickelt - hier gibt es einen großen Bedarf. Grundsätzlich könnte man unser System auch in anderen Fahrzeugtypen einsetzen – wenn sie über eine sogenannte „Drive-by-Wire“-Technik verfügen. Das bedeutet, dass Bremse, Gas und Lenkung nicht rein mechanisch oder hydraulisch funktionieren, sondern elektronisch betätigt werden können. Wir bei FERNRIDE konzentrieren uns aber auf LKW.
Wer ein Start-up im Bereich autonomes Fahren gründet, braucht viel Geld. War das am Anfang ein Problem?
Wenn man in Europa so eine Firma gründet, ist es wichtig, dass man Schritt für Schritt vorgeht. Hier in München an der Technischen Universität haben wir besonders günstige Bedingungen mit dem Start-up-Hub „UnternehmerTUM“. Es gibt unglaublich talentierte Studierende und eine tolle Ausbildung – und auf der anderen Seite viele große Autobauer und Logistiker, die zum Netzwerk des Start-up-Hubs gehören und sehr an Innovationen interessiert sind.
Wir konnten also auf einem sehr etablierten Vertrauensverhältnis aufbauen. Wir haben schon sehr früh gemeinsam mit den Unternehmen Lösungen entwickelt und getestet – und hatten auch Zugang zu Kapital. Die Firmen waren im Grunde sehr früh unsere Kunden.
Trotzdem: Wäre es in den USA nicht einfacher gewesen, zumindest finanziell?
Klar sind insbesondere die Volumina beim Risikokapital in den USA noch deutlich größer. Aber es gab hier in Europa in den vergangenen Jahren einen deutlichen Bewusstseinswandel. Wir haben zum Beispiel in Deutschland sehr ehrgeizige und erfolgreiche Technologie-Firmen, die die Welt verändern wollen – mit High-Tech-Lösungen. Dafür wurde und wird auch investiert.
Wir hatten bei FERNRIDE nie ein wirkliches Problem, was die Kapitalausstattung angeht. Für uns war es ein riesiger Vorteil, dass wir gleich mit Unternehmen wie Volkswagen, DB Schenker oder der HHLA zusammenarbeiten konnten, die ein großes internationales Netzwerk haben.
Wie sieht es denn aus mit Vorschriften und Regeln? Ist Europa hier nicht sehr bürokratisch?
Wir sehen die strengen Auflagen bei Cyber- und Fahrzeugsicherheit sowie bei Verlässlichkeit eher als Vorteil. Das, was hier den Anforderungen genügt, tut es auch überall sonst. Wir entwickeln hier quasi einen globalen Gold-Standard.
Mit anderen Worten: Wenn wir wegweisende Technologie entwickeln und wir gezwungen werden, die höchsten Standards einzuhalten und das bestmögliche Produkt zu entwickeln ist das etwas, was sich global sehr gut skalieren lässt und was unsere Kunden sehr schätzen.
Wie wird sich die Logistik-Branche in Europa und weltweit in den kommenden fünf Jahren verändern?
Zum einen wird sich das Berufsbild von Kraftfahrerinnen und -fahrern ändern. Es wird hoffentlich attraktiver: Wir werden eher Flottenmanager mit geregelteren Arbeitszeiten haben, die nachts bei ihrer Familie sein können, anstatt im LKW schlafen zu müssen. Voraussetzung dafür ist, dass sich das ganze System automatisiert und stärker elektrifiziert. Das wird nicht über Nacht passieren, aber es wird schrittweise kommen. Auf absehbare Zeit werden wir immer eine Kombination aus menschlicher und künstlicher Intelligenz benötigen.
Was ich mir als Europäer wünsche, ist, dass in Zukunft unsere Pensionsfonds mehr Risikokapital für Technologiefirmen in der Wachstumsphase zur Verfügung stellen – insbesondere für neue Entwicklungen, die uns als Gesellschaft weiterbringen. So bleibt der Standort Europa relevant – und wir können gleichzeitig zu guten Renditen im System der Altersvorsorge beitragen.
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