Grüner Wasserstoff – Hype oder Hoffnung?

Kurzfristig ist auch grüner Wasserstoff kein Allheilmittel gegen die Energiekrise – langfristig ist er im Kampf gegen den Klimawandel allerdings unverzichtbar, sagt Deutsche-Bank-Experte Eric Heymann.

Grüner Wasserstoff – Hype oder Hoffnung? Erklärt in 99Sekunden

Eric Heymann ist Senior Economist für Sektoren, Technologie und Ressourcen bei Deutsche Bank Research. Die erste Adresse also, wenn es um grünen Wasserstoff geht. Er sieht darin ein Multitalent, das uns langfristig dabei helfen kann, die Energiekrise zu lösen und die Folgen des Klimawandels zu bekämpfen.

Eric, was ist grüner Wasserstoff und wie kann er helfen?

Grüner Wasserstoff ist Wasserstoff, der durch den Einsatz erneuerbarer Energien gewonnen wird. Es ist eine klimafreundliche Form der Energie, die sich vielfältig nutzen lässt. Zum Beispiel kann grüner Wasserstoff fossile Brennstoffe am Bau oder im Verkehrssektor ersetzen. In der Stahlindustrie ist er eine kohlenstofffreie Alternative zu Kohle und Elektro-Öfen. 

Wer grünen Wasserstoff lokal produziert, muss ihn nicht über lange Strecken transportieren, was die Kosten für die Stahlproduktion senkt. Mittel- bis langfristig wird grüner Wasserstoff eine wichtige Rolle als nachhaltige, zuverlässige und hoffentlich kostengünstige Energiequelle spielen, die beim Kampf gegen den Klimawandels hilft. 

Grüner Wasserstoff ist Wasserstoff, der durch den Einsatz erneuerbarer Energien gewonnen wird.

Sie haben den Verkehrssektor erwähnt. Könnte grüner Wasserstoff dort eine Wende herbeiführen?

Wir müssen zwischen den verschiedenen Transportarten unterscheiden. Derzeit konzentrieren sich die meisten Autohersteller auf batteriebetriebene Fahrzeuge und nicht auf Wasserstoff-Brennstoffzellen, da die Batterietechnologie billiger und bereits ziemlich etabliert ist. Hier ist die Elektrifizierung einfach. In anderen Bereichen, wo diese Elektrifizierung schwieriger ist, wird Wasserstoff - und insbesondere grüner Wasserstoff - eine größere Rolle spielen: zum Beispiel in der Schifffahrt, dem Güterverkehr und der Luftfahrt. Letzten Endes wird sein Erfolg davon abhängen, wie viel die Alternativen kosten und wie schwierig die neue Technologie umzusetzen ist.

Welche Hürden sehen Sie?

Die beiden Haupthindernisse, grünen Wasserstoff großflächig einzuführen, sind Infrastrukturinvestitionen und -kosten. Wir werden Elektrolyseure, Pipelines und zusätzliche Anlagen für erneuerbare Energien benötigen, damit wir genügend grüne Energie haben, um grünen Wasserstoff herzustellen. Grüner Wasserstoff ist nach wie vor knapp und teuer, die mit seiner Verwendung verbundenen Kosten - Umrüstung, Kühlung, Transport - sind derzeit hoch. 

Wird grüner Wasserstoff die Energiekrise lösen?

Viele Beobachter betrachten grünen Wasserstoff als Allheilmittel für die Energiekrise. Aber gibt nicht die eine Lösung, es wird eine Mischung sein. Eines ist klar: Mit einem jährlichen Bevölkerungswachstum von 80 Millionen Menschen weltweit steigt der weltweite Energiebedarf. Kurzfristig gibt es schlicht nicht genug grünen Wasserstoff, um diesen Bedarf in Deutschland oder gar weltweit zu decken.

Was ist da die Lösung?

Deutschland muss große Mengen grünen Wasserstoffs importieren, normalerweise in Gasform. Denn ein so dicht besiedeltes Land hat einfach nicht genug Platz, um die Menge an Wind- oder Solarfarmen zu installieren, die nötig wären, um ausreichend grüne Energie zu produzieren. Eine weitere Option ist der Import von Ammoniak (NH4). Damit lässt sich Wasserstoff herstellen. Ammoniak ist leicht und lässt sich deshalb vergleichsweise günstig transportieren. In Deutschland wird für Ammoniak aus Saudi-Arabien gerade das erste grüne Einfuhrterminal im Hamburger Hafen gebaut.

Viele Beobachter betrachten grünen Wasserstoff als Allheilmittel gegen die Energiekrise.

Ist dies die Chance für den Nahen Osten und Afrika, eine wichtige Rolle in der globalen grünen Energiewirtschaft der Zukunft zu spielen?

Angesichts der in Hülle und Fülle vorhandenen Solar- und Windenergie ist Saudi-Arabien eines von vielen Ländern im Nahen Osten und in Afrika, die besonders gut geeignet sind, große Mengen grünen Wasserstoffs zu geringen Kosten zu produzieren. Auch Südamerika und Australien haben ausgezeichnete Bedingungen. Die Europäische Union arbeitet mit einer Reihe dieser Länder und Regionen zusammen und investiert in die grüne Wasserstoff-Infrastruktur der Zukunft.

Wird die EU für Investoren in Zukunft überhaupt attraktiv bleiben?

Momentan scheint es, dass große Teile privater Investitionen in die Vereinigten Staaten fließen könnten. Mit dem „Inflation Reduction Act" nehmen die USA einen eher pragmatischen Ansatz ein und zahlen eine feste Summe für jedes Kilo Wasserstoff, das entweder aus erneuerbaren Energien oder aus Atomkraft gewonnen wird. Das Spiel ist allerdings noch lange nicht vorbei, und auch die Europäische Union wird Investitionen in grünen Wasserstoff anziehen. Angesichts des schärferen Wettbewerbs um den Wasserstoffmarkt werden finanzielle Anreize und die Hilfe der Politik entscheidend sein, wie gut das gelingt.

Können Sie nochmal kurz und knackig zusammenfassen?

Es gibt einfach nicht genug grünen Wasserstoff für einen kurzfristigen Durchbruch. Mittel- bis langfristig wird grüner Wasserstoff jedoch eine wichtige Rolle als nachhaltige, zuverlässige und hoffentlich günstige Energiequelle spielen – wenn wir genügend investieren.

Das Interview wurde von Jill Winter geführt.

Eric Heymann

Über Eric Heymann

Eric Heymann ist Senior Economist bei Deutsche Bank Research, verantwortlich für Energie- und Klimapolitik, die Automobilindustrie, den Transport- und Verkehrssektor sowie branchenübergreifende Themen. Eric studierte Wirtschaftswissenschaften an der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Er arbeitet seit 1998 für Deutsche Bank Research.

Jill Winter

Jill Winter

… arbeitet als Redakteurin im Newsroom der Deutschen Bank. Sie ist beunruhigt darüber, was passiert, wenn die Wirtschaft nicht ernsthaft anfängt, Netto-Null-Ziele zu verfolgen. Sie interessiert sich für neue Technologien und deren Potenzial, eine Welt zu schaffen, in der es sich zu leben lohnt.

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