
Schneller und breiter investieren: Die Blockchain macht‘s möglich
Börsen- und Blockchain-Expertin Lidia Kurt über die transformative Kraft der Blockchain-Technologie im Wertpapierhandel und das „Internet of Value”.
Im Internet speichern wir Informationen und tauschen sie aus, auf der Blockchain werden wir Wertgegenstände speichern und austauschen. So fasst Digital-Expertin Lidia Kurt das große Potenzial des „Internet of Value“, wie sie es nennt, zusammen. Kurt hat die Gruppe Börse Stuttgart seit 2021 zu Blockchain-Themen beraten und ist Chefin von BX Digital, dem entstehenden Blockchain-Handelsplatz der Gruppe Börse Stuttgart.

Sie erklärt die Möglichkeit, echte Werte digital zu speichern an einem alltäglichen Beispiel: „Wenn ich heute ein PDF per E-Mail sende, ist das lediglich eine Kopie. Auf der Blockchain gibt es Werte nur im Original und keine Kopien.“
Tokenisierung: wie Vermögenswerte in die digitale Welt kommen
Um einen Vermögenswert – beispielsweise ein Wertpapier, ein Kunstwerk oder eine Immobilie – in die digitale Welt zu übertragen, muss man ihn tokenisieren. Er wird in digitale Einheiten, so genannte Tokens zerlegt. Jeder Token repräsentiert einen bestimmten Anteil am zugrundeliegenden Vermögenswert und wird auf der Blockchain mit einer eindeutigen Adresse – eine zufällig generierte Reihe von alphanumerischen Zeichen – versehen. Diese Adresse ermöglicht die sichere und nachvollziehbare Übertragung des Tokens von einer Partei zur anderen – quasi auf „Knopfdruck“, so Kurt.
Wir setzen auf ein hybrides Modell, das die Vorteile des traditionellen Handels und der Blockchain-basierten Abwicklung miteinander verbindet.
BX Digital will herkömmlichen Handel und Blockchain-Abwicklung vereinen
Die Gruppe Börse Stuttgart hat mit BX Digital eine Tochtergesellschaft in Zürich gegründet, um das Potenzial der Blockchain-Technologie für den Wertpapierhandel zu nutzen. „Wir bauen seit rund drei Jahren einen Handels- und Abwicklungsplatz für tokenisierte Wertpapiere auf und haben im März 2025 als erste Schweizer Finanzinfrastruktur eine Bewilligung der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA erhalten“, sagt Kurt.
„Wir setzen auf ein hybrides Modell, das die Vorteile des traditionellen Handels und der Blockchain-basierten Abwicklung miteinander verbindet.“ Konkret bedeutet dies, dass der Handel selbst weiterhin „off-chain“ über die etablierten Handelssysteme erfolgt, wodurch Banken und Finanzinstitute ihre bestehenden Infrastrukturen nutzen können. Die eigentliche Revolution findet beim Abwickeln von Käufen und Verkäufen: „Durch die Blockchain-basierte Abwicklung können wir den Einsatz von Intermediären wie Zentralverwahrern überflüssig machen. Das Ergebnis sind deutlich schnellere Abwicklungszeiten, geringere Kosten und eine reduzierte Komplexität“, sagt Kurt.
Während die traditionelle Abwicklung über Zentralverwahrer in der Regel zwei Tage dauert, können Transaktionen auf der Blockchain innerhalb weniger Minuten direkt zwischen Verkäufer und Käufer abgewickelt werden. Das ist laut Kurt für den Endkunden auch sicherer, da er das Wertpapier sofort erhält.
Wenn man Wertpapiere in den digitalen Bereich bringt, ist das Spielfeld enorm. Durch die Tokenisierung können wir Wertpapiere mit innovativen Funktionalitäten ausstatten.
Jeden Tag Anleihen-Zinsen bekommen und neue Anlagemöglichkeiten
Die Blockchain-Technologie beschleunigt jedoch nicht nur den Handel. „Wenn man Wertpapiere in den digitalen Bereich bringt, ist das Spielfeld enorm. Durch die Tokenisierung können wir Wertpapiere mit innovativen Funktionalitäten ausstatten“, sagt Kurt. So könnten beispielsweise bei Anleihen Zinsen nicht mehr nur jährlich oder quartalsweise, sondern dank der Blockchain automatisiert auch täglich ausgezahlt werden.
Darüber hinaus eröffnen sich vor allem für Privatanleger mehr Anlagemöglichkeiten: Weil große Immobilien, Windparks, sehr wertvolle Kunstwerke oder Unternehmen, die nicht börsennotiert sind, einfacher aufgeteilt werden können, kann man mit kleineren Anlagesummen in sie investieren. „Stellen Sie sich vor, Sie könnten mit wenigen Klicks in einen Bruchteil eines berühmten Gemäldes oder eines Windparks investieren. Die Tokenisierung macht das möglich“, sagt Kurt.
Und die Banken?
Welche Rolle werden Banken in dieser neuen Welt der tokenisierten Vermögenswerte spielen? Lidia Kurt ist überzeugt, dass Banken auch in Zukunft eine zentrale Rolle im Finanzsystem spielen werden, insbesondere in der Bereitstellung der Infrastruktur sowie in der Beratung.
Denn auch wenn die Blockchain-Technologie das direkte Übertragen von Werten ermöglicht, bleiben zentrale Fragen: Wer verwahrt die digitalen Schlüssel – vergleichbar mit einem Passwort, d.h. einer Kombination aus Buchstaben und Zahlen – mit denen man auf die gespeicherten Token zugreifen kann? Wer stellt sicher, dass die Geldwäschebestimmungen eingehalten werden? Und wer berät Anleger, welche digitalen Anlagen zu ihnen passen?
Kurt sieht Banken in der Verantwortung, ihre Kunden umfassend über die Chancen und Risiken tokenisierter Wertpapiere zu beraten und ihnen den Zugang zu diesem neuen Anlageuniversum zu ermöglichen. Eine weitere wichtige Aufgabe schreibt sie Banken zu: „Sie haben die Kontakte und Beziehungen zu den Kunden und etablierte Prozesse, um rechtliche Pflichten einzuhalten, Stichwort KYC – kenne deinen Kunden.“
Blockchain verändert die Wirtschaft, Kapitalmarktunion rückt näher
Die Blockchain-Technologie hat das Potenzial, nicht nur den Finanzmarkt, sondern auch die europäische Wirtschaft als Ganzes zu verändern. „Die Ambition einer Kapitalmarktunion“ sieht Kurt durch die Blockchain ein Stück näher rücken.
Denn die Zersplitterung der europäischen Kapitalmärkte ist nicht zuletzt auf die „nationalen Silos in der Abwicklung“ zurückzuführen, so Kurt. Die Blockchain hingegen ermöglicht grenzüberschreitende Transaktionen, die schnell, günstig und sicher abgewickelt werden können.
„Wenn wir es schaffen, die Einheitlichkeit, die wir auf regulatorischer Ebene zu großen Teilen haben, auch technisch umzusetzen, dann haben wir eine Reduktion der Komplexität und Kosten, die signifikant ist, und dann können wir genau zu einer solchen Kapitalmarktunion kommen“, ist Kurt überzeugt.
Die Blockchain-Technologie steht noch am Anfang ihrer Entwicklung. Doch eines ist klar: Die Revolution der Werte hat bereits begonnen. Und sie wird die Art und Weise, wie wir Vermögenswerten aufteilen und handeln, grundlegend verändern.
Diese Seite wurde im April 2025 veröffentlicht.

Über Dr. Lidia Kurt
Dr. Lidia Kurt ist seit dem 1. November 2024 Chief Executive Officer der BX Digital.
Sie promovierte im Bereich Finance an der Universität St. Gallen, ist Autorin des Buches "Digitale Assets und Tokenisierung" und bringt umfassende Expertise an der Schnittstelle von Finanzsystemen und innovativen Technologien mit.
Seit 2017 arbeitet sie als Beraterin für digitale Assets und hat zahlreiche Tokenisierungsprojekte erfolgreich geleitet. Zuvor war sie geschäftsführende Gesellschafterin einer Beratungsfirma für quantitative Finanzen und arbeitete bei J.P. Morgan und Swiss Re in Zürich, London und Hongkong. Seit 2021 berät sie die Börse Stuttgart Group zu Blockchain-Themen.

Markus Dahlem
… betreut in der Konzernkommunikation den weltweiten Technologiebereich der Bank. Er interessiert sich dafür, wie konkrete Anwendungsfälle in der Tokenisierung von Vermögenswerten gestaltet sind und welche Möglichkeiten sich künftig für Unternehmen und Endkunden bieten.
Empfohlene Inhalte
Digitaler Umbruch | Standpunkt
„Wir brauchen eine DLT-Autobahn für den Kapitalmarkt” „Wir brauchen eine DLT-Autobahn für den Kapitalmarkt”
Warum die KfW auf digitale Anleihen setzt und eine modernisierte Infrastruktur für die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Kapitalmarkts fordert. Ein Gespräch mit KfW Group Treasurer Tim Armbruster.
Digitaler Umbruch | Kurz & knapp
Tokenisierung in Aktion Tokenisierung in Aktion
Mehr als bloßer Hype? Drei Beispiele aus der Praxis zeigen, wie sinnvoll, profitabel und kurzweilig Tokenisierung sein kann.
Digitaler Umbruch | Standpunkt
„In einer tokenisierten Ökonomie können wir Geld smart machen” „In einer tokenisierten Ökonomie können wir Geld smart machen”
Luxushotels, Spitzen-Kunst – oder eine Taxifahrt? Deutsche-Bank-Experte Sabih Behzad erklärt, wie eine tokenisierte Ökonomie Investments und Zahlungsströme revolutioniert. Und wo Risiken lauern.