
„Wir brauchen eine DLT-Autobahn für den Kapitalmarkt”
Mehr Effizienz durch Skalierbarkeit: Warum die KfW auf digitale Anleihen setzt und eine modernisierte Infrastruktur für die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Kapitalmarkts fordert. Ein Gespräch mit KfW Group Treasurer Tim Armbruster.
Herr Armbruster, die KfW hat schon vor einigen Jahren erste Gehversuche mit einem Blockchain-gestützten Geldmarktpapier unternommen. 2024 sind Sie mit Partnern aus allen Bereichen der Finanzwirtschaft auf eine „Lernreise“ gestartet. Warum?
Weil wir es uns nicht leisten können, Entwicklungen im Kapitalmarkt zu verpassen. Die KfW refinanziert sich im Gegensatz zu den meisten anderen Banken zum größten Teil über die internationalen Kapitalmärkte. Wir müssen wissen, was sich dort bewegt, welche Technologien sich durchsetzen und ob sie uns helfen können, unsere Prozesse effizienter zu gestalten. Wenn wir in den asiatischen Raum schauen, in die USA, nach Großbritannien oder in die Schweiz: Da tut sich was. Und auch wir müssen anfangen, neue Technologien zu erproben.
Ein Aspekt, der mich persönlich antreibt, ist der demographische Wandel: Die Überalterung der Bevölkerung führt zu einem Rückgang der erwerbsfähigen Personen und zu einem zunehmenden Fachkräftemangel. Innovationen und neue Technologien können helfen, diesen zu kompensieren. Und auch als Arbeitgeber müssen wir attraktiv bleiben für die junge Generation. Wir setzen dafür auf innovative Ansätze und Pionierarbeit.



Was ist denn das Ziel dieser Lernreise?
Wir wollen verstehen, wie wir bestehende und neue Technologien nutzen können, um unseren Emissionsprozess effizienter zu machen, und das, ohne auf andere Eigenschaften wie die Sicherheit und Liquidität unserer Anleihen zu verzichten. Denn das sind Eigenschaften, die unsere Investoren erwarten.
Schon 2017 haben wir eine erste Testtransaktion unter Nutzung der sogenannten Distributed-Ledger-Technologie (DLT) gemacht. Damals fehlte noch der gesetzliche Rahmen, aber inzwischen hat sich der Gesetzgeber des Themas angenommen und seit 2021 gibt es das Gesetz über elektronische Wertpapiere (eWpG) – und jetzt wird es spannend.
Durch das eWpG wurde erstmals die Möglichkeit geschaffen, die physische Wertpapierurkunde zu dematerialisieren. Das heißt im Klartext, die Wertpapierurkunde in ein digitales zentrales oder dezentrales Register einzutragen. Für Letztgenanntes kann die Distributed-Ledger-Technologie (DLT) verwendet werden, worunter auch die Blockchain fällt. Wir haben beides getestet: 2022 das digitale zentrale Register und 2024 das dezentrale Register.
Was war Ihr erster praktischer Schritt in diese Richtung?
Wir haben uns in einem ersten Schritt auf die Nutzung bereits vorhandener Technologien konzentriert und 2022 mit der Deutschen Börse und Clearstream auf deren D7-Plattform eine erste digitale Anleihe in Form eines Zentralregisterwertpapiers emittiert. Das waren damals 20 Millionen Euro Anleihewert, also ein überschaubares Pilotprojekt. Hier ging es zunächst darum, die physische Wertpapierurkunde in einem digitalen zentralen Register zu verwahren, statt sie wie zuvor physisch in einem Tresor einzuschließen. Mit Clearstream haben wir hier einen erfahrenen Partner an der Hand, mit dem wir gemeinsam gelernt und Prozesse optimiert haben.
In einem nächsten Schritt haben wir dann auch eine erste großvolumige EUR-Benchmarkanleihe über D7 emittiert.
Mittlerweile ist die Emission über die D7 Nachhandelsplattform für unsere Euro-Benchmarkanleihen zum Standard geworden. Ende 2024 hatten wir schon ein Volumen von 8 Milliarden Euro auf D7 erreicht. Und jetzt, nach acht Wochen im neuen Jahr, stehen wir schon bei über 10 Milliarden Euro. Das zeigt, dass die Emission von Zentralregisterwertpapieren für uns bereits skalierbar geworden ist, sich also beliebig in der Größenordnung steigern lässt. All unsere Digitalisierungsinitiativen haben Skalierbarkeit zum Ziel.
Clearstream und die D7 Plattform
Clearstream, der Nachhandelsdienstleister der Gruppe Deutsche Börse, möchte mit seiner digitalen Nachhandelsplattform D7 den gesamten Nachhandel digitalisieren und der Finanzindustrie den Übergang in die digitale Welt erleichtern.
Wie sieht es bei Ihren Blockchain-basierten digitalen Anleihen aus? Können Sie hier auch schon von Skalierbarkeit sprechen?
Hier lautet die Antwort aktuell klar: nein. Aber darum ging es bei unseren ersten Pilottransaktionen auch nicht vorrangig. Unser Ziel war es hier vor allem, die neuen Möglichkeiten, die uns der Gesetzgeber bei der Emission von Wertpapieren zur Verfügung stellt – insbesondere die erwähnte Nutzung von DLT – zu testen. Dabei wollten wir so viele andere Marktteilnehmer wie mögliche involvieren, um gemeinsam zu lernen, neue Risiken zu identifizieren und neue Rollen im Gesamtprozess zu erproben.
Dafür haben wir ein vierköpfiges Bankensyndikat ins Boot geholt – die Deutsche Bank war hier ein wesentlicher Partner – und haben vor der ersten Transaktion eine lange Phase für die Vorbereitung des Marktes, wir nennen das Marktedukation, und die Ansprache von Investoren eingeplant. Und das hat sich ausgezahlt: An der Transaktion haben sich neben unserem Ankerinvestor Union Investment letztlich noch eine gute Handvoll weiterer Investoren beteiligt. Das gab es bislang noch nicht.



Einige Investoren haben sich mit Ihnen auf den Weg gemacht, andere nicht. Warum?
Die einen sehen das große Potenzial und finden es attraktiv, First Mover zu sein. Andere sagen: „Das ist noch nicht reif, wir warten lieber ab.“ Beides ist nachvollziehbar. Aber die Erfahrung zeigt: Sobald die großen Marktteilnehmer sich bewegen, ziehen die anderen nach. Und wir haben gesehen, dass sich das Interesse in den letzten zwei Jahren stark erhöht hat.
Bei einem derart dynamischen Thema sind Ihnen sicher auch zahlreiche Herausforderungen begegnet?
Ja, einige! Denn anders als bei Zentralregisterwertpapieren wird bei Kryptowertpapieren auf eine gänzlich neue Technologie gesetzt, die schon genannte DLT, oder in unserem Fall konkret die Blockchain. Hier war einige Aufklärungsarbeit schon im Vorfeld nötig. Erstmal musste intern jeder verstehen, worum es geht. Ein Wertpapier ist ein Wertpapier ist ein Wertpapier, egal ob auf Papier oder auf einer Blockchain – aber die Art, wie es verarbeitet wird, ändert sich radikal.
Unsere Rechtsabteilung, Compliance, IT – alle mussten sich mit der neuen Technologie auseinandersetzen. Die heutigen analogen Prozesse kann man ja nicht 1:1 übertragen auf die neue Technologie. Wir mussten auch ganz neue Tätigkeitsprofile definieren, die es vorher noch gar nicht gab.
Natürlich kommen mit jeder neuen Technologie neue Risiken, deswegen muss man frühzeitig anfangen zu lernen. Und dann gibt es natürlich regulatorische Hürden: Wer haftet wofür? Wie bewertet die Aufsicht diese neuen Strukturen? Das sind Fragen, die man nicht mal eben in einer Kaffeepause klärt.
Was waren denn Ihre größten Erkenntnisse aus den beiden Transaktionen?
Ein großes Thema ist die Interoperabilität, also dass die Prozesse möglichst ohne Unterbrechung ablaufen können. Aktuell nutzen die Marktteilnehmer viele verschiedene Plattformen, doch diese sind nicht alle miteinander verbunden. Aber solange ich keine Verbindung von Plattform zu Plattform habe, funktioniert das nicht: Ohne entsprechende Infrastruktur schafft man keine Liquidität.
Unsere erste Kryptowertpapieranleihe wurde über die Polygon-Blockchain emittiert. Doch das war nur eine von vielen Möglichkeiten. Aber solange jeder seine eigene Blockchain hat, fehlt die Skalierbarkeit. Wir brauchen eine Art „DLT-Autobahn“, an die sich alle anschließen und bewegen können. Man kann sich das ganz gut so vorstellen: Auf jeder Zufahrt werden Sicherheitschecks wie KYC (Know Your Client) vorgenommen – aber wenn der Prozess einmal auf der „Autobahn“ ist, rauscht er durch. Das diskutieren wir auch gerade mit der EZB und den großen Zentralverwahrern wie Clearstream.
Sie haben also nicht nur das Wertpapier an sich digitalisiert, sondern auch den Zahlungsverkehr auf der Blockchain getestet: Die „Autobahn”, wie Sie sie nennen. Mit welchem Ergebnis?
Genau, diese Technologie ist ja nur dann attraktiv, wenn sowohl das Wertpapier als auch der Zahlungsverkehr auf einer Ebene interagieren können.
Deswegen haben wir in einer zweiten Runde im Rahmen der EZB-Exploratory Work getestet, wie sich auch der Zahlungsverkehr auf der Blockchain abwickeln lässt. Dafür haben wir die Trigger-Lösung der Bundesbank genutzt. Das war wichtig, denn erst wenn Wertpapier und Zahlung auf derselben technischen Ebene sind, gibt es echte Effizienzgewinne.
Das hat funktioniert: Das Delivery versus Payment Settlement (DvP), ein Wertpapierabwicklungsverfahren, das besagt, dass die Zahlung entweder vor oder gleichzeitig mit der Lieferung der Wertpapiere erfolgt, konnte ohne Zentralverwahrer erfolgreich ausgeführt werden - in weniger als drei Minuten! Aber es hat auch gezeigt, dass es noch offene Fragen gibt – vor allem hinsichtlich notwendiger Regeln. In der Theorie lassen sich solche neuralgischen Punkte gar nicht identifizieren, das kann man nur durch das praktische Ausprobieren herausfinden.
Die EZB-Exploratory Work und die Trigger-Solution der Bundesbank
Die EZB-Exploratory Work ist Teil der Sondierungsarbeiten des Eurosystems, bei dem neue Technologien für die Abwicklung von Großhandelsgeschäften in Zentralbankgeld erprobt werden. Ziel ist es, Finanztransaktionen in Zentralbankgeld leichter abzuwickeln und so die Preisstabilität im Euroraum zu wahren. Im Rahmen der Eurosystem Exploratory Work zur Erprobung neuer Technologien zur Abwicklung DLT-basierter Finanzmarkttransaktionen in Zentralbankgeld hatten Marktteilnehmer von Mai bis November 2024 die Möglichkeit, die vom Eurosystem angebotenen Interoperabilitätslösung(en) ihrer Wahl zu erproben.
Die Bundesbank stellte für die Erprobungsphase ihre DLT-basierte Trigger-Solution zur Verfügung, die DLT-Plattformen mit dem traditionellen Zahlungsverkehrssystem des Eurosystems verbindet. Neben der Trigger-Solution standen zwei weitere Lösungen zur Verfügung.
Wo stehen Sie aktuell? Lernen Sie weiterhin?
Wir lernen alle jeden Tag dazu, auch ich als Treasurer. Wichtig ist mir, am Anfang zu fragen, was soll denn das Ziel sein? Es ist gar nicht schlimm, wenn wir das Ziel nicht erreichen, denn dann können wir uns neu ausrichten. Auf jeden Fall ist man hinterher schlauer und weiß: Diesen Weg müssen wir nicht nochmal gehen.
Welche Schritte planen Sie als nächstes?
Im zweiten Halbjahr 2025 wollen wir eine weitere Blockchain-basierte digitale Anleihe emittieren. Da fließen natürlich all unsere neuen Erkenntnisse ein. Außerdem führen wir das Gespräch mit den Regulatoren weiter, beispielsweise zur Eigenkapitalunterlegung von digitalen Wertpapieren. Europa ist da inzwischen sehr weit vorne, weil es einen sehr guten regulatorischen Rahmen gibt. Auch das Thema digitales Zentralbankgeld (wCBDC) als Bindeglied zwischen Blockchain-Systemen wird immer relevanter.
Die große Frage ist jetzt: Mit welcher Geschwindigkeit kommen wir weiter? Da damit immer auch die europäische Wettbewerbsfähigkeit verbunden ist, ist das Interesse hoch, dass wir vorankommen. Das Ziel ist, den fragmentierten europäischen Markt zu harmonisieren und damit Wachstum zu schaffen.
Welche Hürden sehen Sie hier noch?
Aktuell gibt es vor allem noch die Diskussion über offene (permissionless) und geschlossene (permissioned) Blockchain-Strukturen. Die Vorschläge der Bank of International Settlement (BIS) besagen, dass Vermögenswerte auf einer offenen Blockchain eine höhere Risikogewichtung haben müssten, weil nicht alle Teilnehmer des Netzwerkes bekannt sind und damit diese Blockchains potenziell anfälliger sein könnten als geschlossene Systeme.
Wie europäische und deutsche Regulatoren und Aussichtsbehörden, z.B. BaFin und die Europäische Finanzaufsicht, diese Vorschläge umsetzen, wissen wir derzeit nicht. Dennoch orientiert sich die Branche schon an den Vorschlägen, um nicht negativ überrascht zu werden. Künftig wird man also nicht mehr nur das reine Kreditrisiko anschauen, sondern auch das Risiko der zugrundeliegenden Technologie.
Die Ergebnisse der „Lernreise”
… haben die mitreisenden Partner in einem gemeinsamen Papier zusammengefasst: DLT-basierter Kapitalmarkt. Eine Analyse des Reifegrades anhand der ersten beiden Blockchain-basierten digitalen Anleihen der KfW
Jetzt interessiert mich Ihre persönliche Einschätzung: Ist diese Digitalisierung auf allen Ebenen die Zukunft des Kapitalmarkts?
Ich denke, wir erleben hier gerade eine natürliche Evolution. Unsere Welt wird immer digitaler, denn Digitalisierung sorgt für mehr Effizienz – das hat sich in anderen Bereichen ja auch gezeigt. Und wenn wir die erwähnte „DLT-Autobahn“ etabliert haben, auf der alle schnell mitfahren können, sprechen wir von ganz anderen Dimensionen.
Es wird sicher eine Übergangsphase geben, in der beide Ökosysteme – das digitale wie das analoge – parallel laufen. Aber langfristig? Denken Sie an Künstliche Intelligenz in Verbindung mit dem Potenzial der Blockchain – da ist unheimlich Musik drin. Daraus entsteht eine riesige Dynamik im Kapitalmarkt.
Wenn wir ganz visionär werden wollten, käme als nächstes der Schritt zu einer tokenisierten Wirtschaft – da kann man viel effizienter und schneller Sachen umsetzen. Wenn die Technologie ausgereift und sicher ist, warum sollte man dann noch den alten Weg gehen?
Wie digitalaffin sind Sie eigentlich privat?
Ich selbst bin kein Digital Native, aber ich habe zum Beispiel ein Smart Home. Wenn ich einen Vorteil sehe, wenn es mir das Leben leichter macht – warum nicht?
Das Gespräch wurde im Februar 2025 geführt. Fotos: Benjamin Krug.
Die Deutsche Bank und die KfW
Mit der Deutschen Bank als Konsortialführer hat die KfW im Juli 2024 erfolgreich ihre erste Anleihe in tokenisierter Form ausgegeben. Dies war einer der ersten Schritte auf der Lernreise in Richtung eines Ökosystems digitaler Vermögenswerte. An der zum damaligen Zeitpunkt größten Transaktion dieser Art in Deutschland waren neben der Deutschen Bank die LBBW, die DZ Bank und das Bankhaus Metzler beteiligt. Die Anleihe hatte einen Nominalwert von 100 Millionen Euro und eine Laufzeit von 18 Monaten.

Über Tim Armbruster
Tim Armbruster ist seit 1. Mai 2020 Group Treasurer und Head of Financial Markets der KfW Bankengruppe und ist Mitglied des Aufsichtsrats des TCX (The Currency Exchange Fund N.V.).
Seine berufliche Laufbahn begann er 1996. Seitdem hatte er verschiedene Positionen in den Bereichen Märkte und Treasury in Deutschland, Irland, den USA und Luxemburg inne. Bevor er zur KfW kam, war er Treasurer der Abwicklungsanstalt der Bundesregierung (FMS-WM) und der Aareal Bank AG. Tim Armbruster ist verheiratet und hat einen Sohn.

Maike Tippmann
… gefällt der demokratische und inklusive Ansatz einer tokenisierten Wirtschaft. Gleichzeitig ahnt sie, dass es auf dem Weg dorthin noch viele Hürden zu nehmen gilt. Dass Wertpapiere schon heute auf der Blockchain gehandelt werden und mit welcher Geschwindigkeit dies geschieht (unter drei Minuten!), beobachtet sie mit wachsender Faszination.
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