„Der Binnenmarkt ist das Herzstück“
In zwei Wochen sind die Wahlen zum Europäischen Parlament. Im Interview bespricht Marion Mühlberger von Deutsche Bank Research, wie wettbewerbsfähig Europa ist – und was die Politik in Brüssel tun kann, damit sich unser Kontinent auf der Weltbühne behaupten kann.
Marion Mühlberger beobachtet und analysiert für Deutsche Bank Research seit 2020, wie sich die europäische Wirtschaft entwickelt. Als Teil der Europa-Kampagne der Deutschen Bank spricht sie Im Interview darüber, wie die Politik in Brüssel die Wettbewerbsfähigkeit beeinflusst, welche Hausaufgaben die EU erledigen muss – und wo Europas Stärken liegen.
Marion, die Entscheidungen des Europäischen Parlaments fühlen sich für viele Menschen weit weg an. Warum ist die Europa-Wahl vom 6. bis 9. Juni trotzdem wichtig?
Ich gehe davon aus, dass die Aufmerksamkeit in der heißen Phase vor der Wahl noch deutlich steigen wird. Die Europäische Union stellt in vielen Politik-Bereichen, die für alle Bürgerinnen und Bürger wichtig sind, die Weichen – von Energie über Handel bis zur Wettbewerbspolitik. Und das Europäische Parlament bestimmt mit, welche Prioritäten sich Europa setzt. Ein Beispiel: Die Grünen haben bei der letzten Wahl im Jahr 2019 an Einfluss gewonnen. Im Anschluss daran wurde der „Green Deal“ zu einem der wichtigsten strategischen Vorhaben in der EU.
Was erwartest du mit Blick nach vorne?
Die Machtverhältnisse dürften sich nach Mitte-Rechts verschieben. Es zeichnet sich ab, dass Verteidigung und nationale Sicherheit in der nächsten Legislaturperiode ganz oben auf der Agenda stehen – und wie Europa langfristig wettbewerbsfähig bleiben kann.
Wie ist es denn um diese Wettbewerbsfähigkeit bestellt – nicht zuletzt im Wettstreit mit den USA und China?
Europa hat viele Stärken – etwa gut ausgebildete Arbeitskräfte, top Forschungseinrichtungen, Rechtssicherheit und soziale Stabilität. Das darf man nicht unterschätzen. Allerdings gibt es auch eine Reihe von Herausforderungen für den Standort: Unsere Gesellschaften altern, Energie ist vergleichsweise teuer und wir haben insgesamt zu viele Regeln und Vorschriften. Hinzu kommt, dass andere Länder in der jüngeren Vergangenheit verstärkt Industriepolitik betrieben haben – also ihre Schlüsselindustrien gezielt mit Subventionen und anderen Erleichterungen fördern. Im direkten Vergleich hat die Wettbewerbsfähigkeit Europas in den vergangenen Jahren eher abgenommen.
Wie stark kann die EU die Wettbewerbsfähigkeit beeinflussen?
Erheblich! Die EU hat auf vielen Politikfeldern alleinige oder mit den Nationalstaaten geteilte Kompetenzen. Das Herzstück ist der Binnenmarkt. Durch ihn können die Unternehmen ihre Produkte in allen Mitgliedstaaten verkaufen und Kostenvorteile erzielen. Der Binnenmarkt umfasst heute schon viele Bereiche, er ist aber noch nicht vollendet.
Wo besteht Handlungsbedarf?
Die Märkte für Telekommunikationsdienstleistungen, Rüstungsgüter und Energie sind noch nicht voll integriert, um nur drei Beispiele zu nennen. Da schlummert Potenzial. Um das zu heben, müssten sich die Mitgliedsländer politisch verständigen, etwa darauf, die nationalen Stromnetze enger miteinander zu verknüpfen. Und natürlich wäre die Kapitalmarktunion ein wichtiger Hebel, um privates Kapital zu mobilisieren und die notwendigen Investitionen in unsere Zukunft stemmen zu können. Kurzum: Die EU hat noch einige Hausaufgaben zu erledigen.
Kann Europa die Lücke zu den USA und China schließen, wenn die Politik entschieden handelt?
Sie kann mit den richtigen Schritten das eigene langfristige Potenzialwachstum steigern, das zurzeit deutlich zu niedrig ist – und Europa wieder international wettbewerbsfähiger machen. Letztlich geht es darum, den technologischen Fortschritt zu beschleunigen, etwa durch Querschnittstechnologien wie Künstliche Intelligenz, genügend qualifizierte Arbeitskräfte anzuziehen, das Potenzial der heimischen Arbeitskräfte besser zu heben und den produktiven Kapitalstock zu vergrößern.
Auf welchen Feldern hat Europa denn die besten Perspektiven?
Die einzelnen Regionen und Länder in der EU haben ganz unterschiedliche Stärken. So ist Deutschland unter anderem bei grüner Technologie sehr stark und exportiert viel: Wir profitieren hier von der weltweiten nachhaltigen Transformation. In Skandinavien ist die Digitalisierung weit vorangeschritten, in Italien und Spanien bleibt unter anderem der Tourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.
Zum Schluss zurück zu den Wahlen: Neben uns Europäern sind in diesem Jahr auch die US-Bürger*innen an die Urnen gerufen. Wie relevant ist das Ergebnis der Präsidentschaftswahl im November ökonomisch für uns?
Die USA sind für uns enorm wichtig – als Taktgeber der Weltkonjunktur, Handelspartner und Sicherheitsgarant. Sollte es eine zweite Amtszeit von Donald Trump geben, könnte die US-Handelspolitik protektionistischer werden, was für unsere exportorientierte Wirtschaft nicht optimal wäre. Allerdings muss man dann am Ende schauen, was tatsächlich kommt – und was dem Wahlkampf geschuldet ist.
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Malte Kilian ist Leiter der Abteilung für politische Beziehungen der Deutschen Bank in der EU. Er lebt seit 2014 in Brüssel und pflegt enge Kontakte zu den Entscheidungsträgern. Wir sprachen mit ihm darüber, wie sich das politische Klima nach der Parlamentswahl entwickeln wird – und warum der Ausgang Bürger wie Unternehmen unmittelbar berührt.