„Wir investieren in Zukunftstechnologien“
Von Kernenergie bis Flugtaxis: Gründer und Investor Lukasz Gadowski ist eine Ausnahmeerscheinung in der Start-up-Szene. Seit seinem Ausstieg aus dem Sozialen Netzwerk StudiVZ setzt er nicht mehr auf schnellen Profit – sondern auf langfristige, mutige Ideen, die etwas verändern.
Wer kann schon die Zukunft vorhersagen? Niemand, denn selbst genaueste Analytik kann aus den Daten von heute nicht präzise berechnen, was künftig passiert. Das ist einer der Glaubenssätze, denen Lukasz Gadowski in seiner Laufbahn als Gründer und Investor folgt. Worauf es wirklich ankomme, sei die Muster und Zusammenhänge in der digitalisierten Welt zu erkennen - und diesen zu folgen. Ein Rezept, das Gadowski zu erfolgreichen Gründungen und Investitionen geführt hat und fast immer vor Misserfolgen und Fehlern bewahrt.
Bis heute beschäftigt ihn sein früher Ausstieg aus der einst erfolgreichen Social-Plattform „StudiVZ“. 2005 als neuer Stern am deutschen Start-up-Himmel gestartet, versammelten sich schnell 16 Millionen Menschen auf den Webseiten der VZ-Gruppe, vor allem Schüler*innen und Studierende. Ein echtes Schwergewicht im damals erst beginnenden Social-Media-Zeitalter.
Da haben wir alle die richtig große Geschichte verpasst
Die Erfolgsgeschichte endete mit dem Verkauf an die Holtzbrinck-Verlagsgruppe. Ein finanzieller Erfolg für die Gründer und Investoren - nicht jedoch für die Zukunft deutscher sozialer Netzwerke: Holtzbrinck reichte die Akquisition schnell weiter, 2017 folgte die Insolvenz. „Da haben wir alle die richtig große Geschichte verpasst“, resümiert Gadowski. „Aber aus solchen Situationen lässt sich etwas lernen.“
Am Anfang investierte er sein BaföG
Redet man mit Gadowski über seinen Werdegang und seine Investitionen, führt das Gespräch nie direkt zu „überzeugenden Businessplänen“ und „renditeorientierten Anlageentscheidungen“. Kapital bereitstellen und über einen schnellen Exit die Gewinne mitnehmen – das ist ihm fremd. Gadowski setzt auf langfristige Investitionen und Ideen, die nachhaltigen Fortschritt sichern. Er vertraut auf technologische Entwicklungen, die echten Fortschritt bringen.
Seit seiner ersten erfolgreichen Gründung des Merchandising-Unternehmens Spreadshirt im Jahr 2001, dessen Geschicke er bis heute aus dem Aufsichtsrat heraus begleitet, leitet ihn der Gedanke: „Etwas tun, das Sinn macht“. Damals investierte er noch sein Bafög in die neue Idee, heute sind die Summen um ein Vielfaches höher, die Ideen und ihre Wirkung größer. „Ich investiere an der Schnittstelle von Wissenschaft und Wirtschaft, in Unternehmen, die uns voranbringen werden“, so Gadowski.
Ist Lukasz Gadowski mit seinem langfristigen Ansatz eine Ausnahmeerscheinung in der Szene? Ja, sagt Bernd Rolinck, der sich intensiv mit Investoren und deren Geldflüssen befasst. Er leitet unter anderem die Fachteams der Deutschen Bank für Start-ups. „Es gibt nur wenige Investorinnen und Investoren, die wirklich mutige Schritte langfristig unterstützen. Viele Risikokapitalgeber wollen eher innerhalb weniger Jahre ihren Einsatz vervielfachen.“
Es gibt nur wenige Investorinnen und Investoren, die wirklich mutige Schritte langfristig unterstützen
Das typische Vorgehen sehe oftmals so aus: Das Geschäftsmodell eines erfolgreichen Start-ups wird auf eine andere Branche übertragen. Der Innovationsfaktor bleibt dabei allzu oft auf der Strecke. „Das sehe ich zum Beispiel immer wieder bei digitalen Marktplatzmodellen“, so Rolinck. „Wer wirklich mutig investieren will, muss auch lange Durststrecken aushalten können.“
Gadowski sieht darin keinen Widerspruch: „Auch vermeintlich riskante, abenteuerliche, visionäre Ideen können schon kurzfristig eine Wahnsinnsrendite bieten. Unser Anspruch bei Team Global ist es immer, kurzfristig Fortschritte und Wertsteigerungen zu erzielen, aber gleichzeitig langfristiges nachhaltiges Wachstum anzustreben.“
Boomender Start-up-Sektor
Auch wenn laut Deutschem Start-up Monitor 2021 noch immer die eigenen Ersparnisse als häufigste Finanzierungsquelle der befragten Start-ups angegeben wird, nimmt der Wunsch nach externer Finanzierung weiter zu. Insofern wird im Vergleich zum Vorjahr deutlich mehr externes Kapital – gerade im Bereich 150.000 Euro bis 2 Mio Euro – aufgenommen.
Die deutsche Start-up-Szene wird zunehmend reifer
Grundsätzlich sei die Aufmerksamkeit, die der Start-up-Sektor von allen Seiten bekäme, natürlich positiv zu bewerten, urteilt Deutsche-Bank-Experte Rolinck. „Die deutsche Start-up-Szene wird zunehmend reifer“, stellt er fest. Größere Finanzierungsrunden und höhere Exit-Erlöse hätten zur Folge, dass immer mehr Unternehmer*innen mit eigener Gründungserfahrung in die Lage versetzt werden, junge Unternehmen und deren ‚bold moves‘ zu finanzieren. „Die bringen auch den nötigen Risikoappetit mit“, sagt Rolinck. Hinzu komme, dass amerikanische Venture Capital Fonds den deutschen Markt mittlerweile für sich entdeckt hätten.
Flugtaxis sind für Gadowski fast schon ein konservatives Investment
Und dennoch: Investoren mit echten Visionen sind in dieser Welt selten. Gadowski hat seinen Weitblick schon oft bewiesen. Das Portfolio von ihm und seiner Gesellschaft „Team Global“ umfasst eine Vielzahl von Start-ups. Deren Technologien scheinen häufig aus einer fernen Zukunft zu stammen - so dass selbst Investitionen wie in die Flugtaxis von „Volocopter“ und dem seit September börsennotierten „Archer“ fast schon als konservativ gelten können.
Ein anderes Zukunftsthema, das ihn beschäftigt, ist die Suche nach sauberen Energiequellen. Ein Problem, dessen Lösung händeringend gesucht wird. Automobilhersteller wie Mercedes, VW und Tesla investieren Milliarden in Gigafabriken und die Entwicklung leistungsstärkerer Akkus.
Gadowski will ihnen allen voraus sein: „Wir haben die Offenheit, über die heutige Technologie hinaus zu schauen. Und wir sind neugierig genug, immer wieder die Frage zu stellen, wie wir die nächsten Schritte gehen können.“
Wir haben die Offenheit, über die heutige Technologie hinaus zu schauen
In diesem Fall heißt das: Kristallbatterien könnten die Lösung für das Problem der Energiespeicherung sein. Gadowski verspricht sich von dieser neuen Batteriegeneration, die das Berliner Start-up Theion entwickelt, eine doppelte Leistung bei 20fach geringerem Ressourcenverbrauch.
Gadowski hat auch den Mut, sich gegen die herrschende Meinung zu stellen. Beispiel: Kernenergie. Während viele das Ende der Kernkraft kommen sehen, liegt für Gadowski dort die Zukunft der Energieerzeugung: „So wie wir Kernenergie heute verstehen und nutzen, bringt sie uns mehr Probleme, als dass sie hilft. Aber richtig entwickelt und verwendet, hat Kernenergie – als Fusion etwa bei unserem Portfolio-Unternehmen HB11 in Sydney oder als Spaltung bei Seaborg in Kopenhagen - riesiges Potenzial.“
Die Erfolgsaussichten – unklar. Die Risiken – für Gadowski trotzdem gering. Denn schon auf dem Weg zum Ziel ergeben sich zusätzliche Chancen und gewinnbringende Nebenprodukte, etwa im Bereich der Lasertechnologie.
Ist das Risiko von Investitionen in bisher wenig erforschte Themenfelder also tatsächlich so hoch? Lukasz Gadowski schätzt sich selbst als nicht besonders risikofreudig ein. „Mit unserer kombinierten Strategie der kurzfristigen Wertsteigerungen und dem Ziel des nachhaltigen Wachstums gelingt es uns nahezu immer, Risiken zu vermeiden, zumindest zu minimieren. Das gilt selbst in Bereichen wie Kernfusion – so verrückt das klingen mag.“
Über Lukasz Gadowski
Mit seinem Bafög gründete er bereits als Student das noch heute erfolgreiche Merchandising-Unternehmen Spreadshirt. Später folgten Investments in das soziale Netzwerk StudiVZ, die Plattform für Essenslieferung und das heutige DAX-Mitglied Delivery Hero und den E-Scooter-Anbieter Circ. Heute setzt Gadowski auf Investitionen an der Schnittstelle von Wirtschaft und Wissenschaft – darunter Start-ups, die Flugtaxis und neuartige Kristallbatterien entwickeln oder Kernfusion voranbringen wollen.
Felix Winnands
war schon immer fasziniert von Unternehmer-Persönlichkeiten, die ihren eigenen Weg gehen. Bei seiner Arbeit im Newsroom der Deutschen Bank trifft er regelmäßig auf spannende Unternehmergeschichten, die er im besten Fall selbst zu Papier und an die Leser*innen bringen kann.
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