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15. Dezember 2022
Einblicke von unseren ESG-Experten: Chris Jaques
Chris Jaques leitet bei der Deutschen Bank den Bereich, der sich mit der Steuerung von Unternehmensrisiken beschäftigt, also dem Enterprise Risk Management. Zu seinen Aufgaben gehört auch das Risikomanagement für Klimarisiken.
In der aktuellen Ausgabe unseres ESG Quarterly Newsletters erklärt Chris Jaques anhand seines Terminkalenders, wie die Bedeutung von ESG in seinem Bereich zugenommen hat und welche großen Herausforderungen es bei Klimarisiken gibt.
Chris, woran arbeiten Sie derzeit?
Wir haben ja vor kurzem unsere ersten Netto-Null-Ziele kommuniziert, ergänzend zum CO2-Fußabdruck unseres Unternehmenskreditbuchs, den wir im März veröffentlicht hatten. Diese neuen Aspekte integrieren wir seitdem in unsere Entscheidungsfindung und unsere Arbeit im Risikobereich.
Und was sind nun die nächsten Schritte für Sie?
Im kommenden Jahr werden wir unsere Risikomanagement-Kapazitäten über das gesamte ESG-Spektrum hinweg weiter ausbauen und integrieren. Dabei konzentrieren wir uns darauf, unsere Veröffentlichungen weiter zu verfeinern und zu entwickeln, und wir werden besser darin, wie wir Klimarisiken messen und steuern. Zudem wird es Netto-Null-Ziele für weitere Branchen geben, beispielsweise für Immobilien.
Wie unterstützt das Enterprise Risk Management die Kunden bei der Umstellung auf kohlenstoffarme Modelle?
Wir arbeiten eng mit den Geschäftsbereichen, deren Vertriebsteams sowie unserem zentralen Nachhaltigkeitsbereich zusammen, um die Transparenz in Bezug auf die Messung von Kohlenstoffemissionen und die entsprechenden Ansätze zu fördern. Das Konzept der Netto-Null sollte sowohl für uns als auch für unsere Kunden eine Win-Win-Situation sein. Der Übergang unserer Kunden zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft ist freilich nicht risikofrei – wir müssen auch ein umfassendes Verständnis der Risiken haben, die damit einhergehen – zum Beispiel von physischen Risiken wie den Überschwemmungen in Deutschland oder den weltweiten Waldbränden sowie dem Kreditrisiko in traditionellen Risikobereichen. Indem wir unsere potenzielle Anfälligkeit und Exponiertheit für Risiken verstehen, können wir unsere Kolleginnen und Kollegen anleiten, und diese können wiederum unseren Kunden den Weg in Richtung der Netto-Null zeigen.
Sie modellieren Klimarisiken – was bedeutet das genau?
Unser Mantra im Risikobereich lautet „keine Überraschungen“. Daher haben wir uns sowohl intern als auch mit externen Kolleginnen und Kollegen zusammengesetzt, um die Methoden und Ansätze zu verfeinern, wie sich Klimarisiken modellieren lassen. Entscheidend ist, dass wir einen vorausschauenden Modellierungsansatz für diese Ereignisse benötigen, also etwa für die globale Erwärmung und für erhöhte Eintrittswahrscheinlichkeiten. Es ist eine neue Welt für uns, und der Strauß an finanziellen und nichtfinanziellen Risiken beim Thema ESG ist groß. Unsere Aufgabe ist es, eine objektive Sicht auf die Risiken zu haben und Wege zu finden, um Modelle und Rahmenwerke in ähnlicher Weise zu entwickeln und zu integrieren, wie wir es von unseren normalen Standards in Bezug auf Risiken gewohnt sind.
Sie betreten also Neuland?
Ja, vor allem, wenn man die Ansätze für Daten, Methoden und Modelle in diesem Bereich berücksichtigt, die sich ja sehr dynamisch entwickeln. Nehmen wir den EZB-Stresstest, den ersten Klimarisikostresstest der Zentralbank überhaupt: Einige Teile dieses Stresstests untersuchten die Auswirkungen des Klimarisikos auf die Deutsche Bank über die nächsten drei Jahrzehnte – und eine derart langfristige Betrachtung gibt es bei keiner anderen Risikoart. Daher müssen wir herausfinden, wie wir die Stresstests für das Klimarisiko besser modellieren und integrieren können. In der Branche muss gemeinsam noch viel mehr daran gearbeitet werden, wie man Stresstests für das Klimarisiko konzipiert und einsetzt, um die Banken effektiv in die richtige Richtung zu lenken.
Können Sie uns etwas über das Unternehmenskreditportfolio als Beispiel für die Risikomodellierung erzählen?
Unser Unternehmenskreditportfolio ist ein wichtiger Schwerpunkt innerhalb unserer Scope-3-Emissionen. Wir modellieren die CO2-Emissionen in allen Branchen, insbesondere aber in den kohlenstoffintensiven Sektoren wie Automobil, Öl und Gas, Energie und Stahl. Wir analysieren auch die Hauptverursacher bei unseren Kunden und die Auswirkungen unterschiedlicher Daten und methodischer Ansätze. Wir haben ein internes Forum ins Leben gerufen, in welchem wir Transaktionen und diese Entwicklungen aus allen Perspektiven betrachten. Dies zeigt, wie aktiv der Dialog innerhalb der Bank zu diesem Thema ist.
ESG-Daten sind bekanntermaßen schwer zu beschaffen. Wie können Sie ohne die für die Risikomodellierung erforderlichen Daten vorankommen?
Die Messung von Emissionen und der Mangel an genauen Daten sind eine große Herausforderung für alle, die sich mit Klimarisiken beschäftigen. Wir arbeiten an Ansätzen, wie wir mit dem Mangel an Daten umgehen und Daten ersetzen, wenn wir keine spezifischen Kundenangaben haben. Ebenso müssen wir, wenn wir Kundendaten haben, sicherstellen, dass diese glaubwürdig sind. Die Datenlage wird sich weiter verbessern, und ich hoffe, dass dies rasch geschehen wird, da wir bessere Daten und bessere Möglichkeiten zu deren Analyse erhalten. Im Moment ist es wichtig, dass wir transparent machen, was wir tun und wie wir mit den Daten umgehen, damit die Menschen die Zahlen verstehen können. Natürlich wären stärkere Impulse von Regierungen und Aufsichtsbehörden zur Verbesserung der Datenoffenlegung von großem Nutzen.
Die Deutsche Bank ist bestrebt, Tätigkeiten einzudämmen, die der Umwelt schaden. Welche Rolle spielt dabei Ihr Bereich Enterprise Risk Management?
Wir sorgen für Transparenz in diesem Bereich, sowohl intern als auch durch die Offenlegung des Engagements der Bank und der öffentlichen Auswirkungen. Und das ist wichtig, denn es hilft uns, greifbare Fortschritte zu erzielen und unsere Glaubwürdigkeit zu stärken, indem wir zum Beispiel Reduktionsziele für 2030 festlegen und unseren Weg zu Netto-Null-Emissionen aufzeigen.
Unsere Kunden kommen aus sehr unterschiedlichen Volkswirtschaften. Kann ein einheitlicher Ansatz für alle funktionieren?
Wir haben keinen Einheitsansatz, der für alle passt. Eine bloße ‚Transformation‘ reicht nicht aus, vielmehr brauchen wir eine ‚gerechte Transformation‘. Unsere Aufgabe ist es nicht, unsere kohlenstoffintensiven Kunden von ihrer Tätigkeit abzuhalten, sondern sie in die Lage zu versetzen, die Transformation zu vollziehen und gleichzeitig die weiterreichenden Auswirkungen nicht nur auf die Umwelt, sondern auch auf die Gesellschaft zu verstehen. Stellen Sie sich ein kohlenstoffintensives Unternehmen vor, das in einer schwachen Wirtschaft eine große Zahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beschäftigt. Im schlimmsten Fall stellt das Unternehmen den Betrieb ein, und all diese Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz. Stattdessen können wir diesem Unternehmen dabei helfen, auf ein kohlenstoffärmeres Modell hinzuarbeiten, das der Umwelt zugutekommt und gleichzeitig den sozialen Aspekt berücksichtigt.
Es scheint, dass dem E mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird als dem S und dem G...
Einfach ausgedrückt gibt es eine große Streuung innerhalb des Begriffs ‚ESG‘. Außerdem gibt es neue Herausforderungen und eine neue Komplexität, die untrennbar mit fossilen Brennstoffen verbunden sind, zum Beispiel mit der aktuellen Energiekrise in Europa. Dies erfordert größere Investitionen, um die Energiesicherheit zu gewährleisten und die erneuerbaren Energien voranzutreiben, und das wird Zeit brauchen. Kurzfristig brauchen wir andere Lieferanten von fossilen Brennstoffen, um diese Energiesicherheit zu unterstützen, und als Bank werden wir einen Finanzierungsbedarf haben. Dies kann unsere Netto-Null-Strategie auf kurze Sicht unbeständig machen. Als globale Bank berücksichtigen wir die Komplexität der verschiedenen Länder, Kundenstämme und Branchen – und unser Verständnis, unser Fachwissen und unsere Analysen helfen uns dabei, die damit verbundenen Risiken zu bewältigen.
ESG steht in allen Bereichen der Wirtschaft und des Finanzwesens im Mittelpunkt. Wie hat sich das Thema für Sie persönlich entwickelt?
Vor zehn Jahren berührte das Klimarisiko meine Arbeit überhaupt nicht. Jetzt vergeht kein Tag, an dem ich kein Gespräch über ein ESG-Thema in meinem Terminkalender habe. Die Bank setzt mehr Ressourcen für ESG ein, und der Bereich Risiko ist eine Schlüsselkomponente davon – wir haben spezielle ESG-Teams innerhalb des Risikobereichs und speziell ein Klimarisiko-Team für die Steuerung von Unternehmensrisiken, also dem Enterprise Risk Management, kurz ERM.
Ihr Bereich kann eine Menge Veränderungen anstoßen. Wie schaffen Sie innerhalb der Deutschen Bank ein Bewusstsein für ESG- und Klimarisiken?
Erstens arbeiten wir eng mit den Geschäftsbereichen und dem Nachhaltigkeitsbereich zusammen. Zweitens sagen wir, dass jeder ein Risikomanager ist, und das stimmt auch: Aber jetzt ist jeder darüberhinaus auch ein ESG-Risikomanager, denn es gibt nur sehr wenige Bereiche, in denen ESG nicht in irgendeiner Form mit der täglichen Arbeit zu tun hat. Es geht nicht nur darum, engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu haben, sondern darum, allen das nötige Wissen, die Expertise und das Bewusstsein zu vermitteln.
Diese Interviewserie ist Teil unseres – zunächst nur englischsprachigen – externen Newsletters „ESG Quarterly“, den Sie auf unserer Webseite abonnieren können.
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