Themen:
Nachricht
15. September 2021
Christian Sewing zur Finanzierung der nachhaltigen Transformation der Wirtschaft
Rede auf dem #Neuland-Kongress 2021
Sehr geehrte Damen und Herren,
„Neuland“ – der Titel der heutigen Konferenz klingt verheißungsvoll.
Wer Neuland hört, denkt fast automatisch an die Verben, die dazu am besten passen, nämlich „betreten“ und „erobern“. Beide drücken aus:
Auf diesem Weg geht es um nichts Geringeres als die neue Ausrichtung unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Die Digitalisierung, sich verschiebende globale Gewichte und Megatrends wie Nachhaltigkeit transformieren die Wirtschaft – und zwar in einem Ausmaß, wie wir es in dieser Geschwindigkeit noch nie erlebt haben.
Wir sind aufgerufen, auf diesem Weg voranzugehen.
Ich möchte heute vor allem über den dritten dieser Punkte sprechen: den Kampf für eine klimafreundlichere und sozialere Ökonomie – und was er für uns und unsere Unternehmen bedeutet.
Frau Kommissarin Vestager hat gerade dargelegt, welche Chancen sich durch Digitalisierung und Nachhaltigkeit für Europa und seine Regionen eröffnen.
Zumindest für den Bereich der Nachhaltigkeit teile ich ihren Optimismus. Europas Wirtschaft ist in vielen Bereichen grüner Technologie führend. Sie ist führend, weil wir das Thema früher als andere erkannt haben. Und wir haben die Chance, diese Marktführerschaft zu behaupten und große Geschäftsopportunitäten zu erschließen – vor allem wenn es uns gelingt, Nachhaltigkeit und Digitalisierung bei Investitionsgütern klug miteinander zu verbinden.
Der Weg dahin ist weit und der Investitionsbedarf riesig. Laut einschlägigen Schätzungen sind bis 2050 jedes Jahr mehr als zwei Billionen Euro weltweit nötig, um die nachhaltige Transformation zu stemmen.
Aber ich bin überzeugt: Wir können diese Herausforderung in eine große Chance verwandeln, wenn Politik und Wirtschaft an einem Strang ziehen – und wir klug handeln, um die Voraussetzungen zu schaffen.
Die nachhaltige Zukunft mitgestalten und mitfinanzieren
Das gilt natürlich zunächst einmal für uns Banken. Wir stehen in der Pflicht, die nachhaltige Zukunft zu gestalten. Und ich verspreche Ihnen, dass wir als Deutsche Bank alles dafür tun werden, den Umbau zu einer umweltverträglicheren, sozialeren und besser geführten Wirtschaft mitzufinanzieren.
Warum sage ich das?
Die Erwartungen an uns – und unsere Branche – sind also klar: Wir müssen entschieden und grundsätzlich handeln, oder anders ausgedrückt: wir sollten auch bei dieser großen Herausforderung Teil der Lösung sein.
Meine Damen und Herren, dass wir dies können, haben wir in der Corona-Krise gezeigt, als wir der Wirtschaft zur Seite standen. Und ich sehe keinen Grund, warum wir das beim Thema Nachhaltigkeit nicht auch schaffen sollten. Die Deutsche Bank ist jedenfalls bereit, um ihren Teil zur Lösung beizutragen.
Nachhaltigkeit: unser Weg, unsere Ambition, unser Erfolg
Die Grundlage dafür haben wir im Sommer 2019 gelegt, als wir unsere neue Strategie verkündeten. Nachhaltigkeit ist seitdem eine zentrale Säule in unserer eigenen Transformation – neben dem Fokus auf unsere Kunden, Technologie und einer Führungskultur, die Unternehmertum in den eigenen Reihen fördert.
Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg war, dass wir uns ehrgeizige Ziele gesetzt haben. Bereits im Mai 2020 haben wir gesagt, dass wir bis 2025 mehr als 200 Milliarden Euro an nachhaltigen Finanzierungen und Anlagen ermöglichen würden. Das hat unsere Bank auf eine Art und Weise mobilisiert, wie ich es nicht für möglich gehalten hatte. Bereits ein Jahr später konnten wir auf unserem Nachhaltigkeitstag verkünden, dass wir dieses Ziel um zwei Jahre auf 2023 vorziehen. Mitte dieses Jahres hatten wir bereits 99 Milliarden erreicht.
Aber es geht um mehr. Es geht darum, dass wir unsere tägliche Arbeit in nahezu allen Bereichen unserer Bank verändern.
Unser Ziel ist es, ESG zur neuen Normalität in der Deutschen Bank zu machen, zum Teil unserer Unternehmenskultur – in den Geschäfts-, aber auch in den Kontrollbereichen.
Dazu gehört zum Beispiel, wie wir festlegen und prüfen, dass unsere Transaktionen strikten Umwelt-, Sozial- und Führungskriterien standhalten. Wir in der Deutschen Bank orientieren uns dabei soweit wie möglich an der EUTaxonomie. Wir haben ein Team, das nicht nur die Richtlinien dafür formuliert, sondern dann auch deren Einhaltung bei den einzelnen Transaktionen kontrolliert.
Besonders viel Zeit und Ressourcen investieren wir außerdem darauf, wie wir unsere Kunden bei der anstehenden Transformation am besten begleiten können. Denn eins ist klar: Unternehmen und Privatanleger haben beim Thema Nachhaltigkeit einen enormen Beratungsbedarf.
Dafür sind wir hervorragend aufgestellt: mit der Expertise unserer Nachhaltigkeitsabteilung und unserer Geschäftsbereiche, unserem erstklassigen Risikomanagement und mehr als 20.000 Beratern weltweit.
Unser wichtigster Vorteil ist jedoch, dass wir als Universalbank die gesamte Wertschöpfungskette des Bankgeschäfts abdecken – und dazu zählt insbesondere auch der Zugang zu den weltweiten Kapitalmärkten. Wir können die Anlageprodukte auflegen, die Investoren nun nachfragen. Dazu sind viele Banken in diesem Umfang nicht im Stande.
Ein schöner Beleg dafür ist, dass wir unseren Marktanteil bei der Emission von ESG-Anleihen für Kunden in den vergangenen zwei Jahren weltweit von 2,9 Prozent auf 5,1 Prozent steigern konnten. Und wir gewinnen hier Anteile in einem Markt, der seinerseits schnell wächst. Das zeigt, dass nicht nur wir uns auf den Weg gemacht haben, sondern auch unsere Konkurrenz im Bankensektor bereitsteht, um diese Transformation mitzutragen. Und das, meine Damen und Herren, empfinde ich als sehr positives Zeichen.
Nachhaltige Transformation: keine Einbahnstraße
Aber nicht nur wir Banken sind gefordert. Wenn die Transformation gelingen soll, müssen auch unsere Kunden mitziehen und sich auf ihren eigenen
Transformationspfad begeben, sprich: Sie müssen sich für nachhaltige Lösungen im Bankgeschäft öffnen. Dabei unterstützen wir sie natürlich, wie ich Ihnen an zwei unserer Geschäftsfelder konkret zeigen möchte:
Auf der anderen Seite – und hier kommen wir zur Verantwortung der Kunden – gehört zum Dialog auch, dass sich unsere Kunden auf Nachhaltigkeitsziele verpflichten, an deren Erfüllung Kredite und andere Finanzierungsprodukte geknüpft sind. Dafür braucht es Transparenz.
Wir haben uns verpflichtet, bis Ende 2022 den Kohlendioxid-Fußabdruck unseres Kreditportfolios zu veröffentlichen. Das werden wir nicht nur auf Grundlage von Modellen tun können. Wir werden dafür die Daten der Unternehmen brauchen, allen voran für unser Risikomanagement.
Dabei werden auch Nachhaltigkeitsratings eine immer größere Rolle spielen. Ich gehe fest davon aus, dass sie für Unternehmen künftig so wichtig werden wie die Bonitätseinstufungen der Ratingagenturen – und zwar nicht nur mit Blick auf die Refinanzierung, sondern auch wenn es darum geht, Aufträge zu gewinnen. So werden wir als Deutsche Bank von unseren größeren Zulieferern ab 2022 ein Nachhaltigkeitsrating verlangen – und andere Unternehmen werden ähnlich handeln.
Meine Damen und Herren, Sie sehen: Wir treten bei den Beziehungen zu unseren Kunden in eine neue Ära ein. Die Beratung erlebt im Bankgeschäft eine Renaissance: Sei es in der Digitalisierung, sei es in der Corona-Krise, sei es in Sachen Nachhaltigkeit: Überall dort, wo sich die Gewichte in der Wirtschaft verschieben, suchen die Kunden unsere Unterstützung – und wir sind mit unserer Expertise für sie da.
Dabei suchen wir gerade auch den Dialog mit solchen Kunden, die in Bezug auf Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen besonders im Fokus stehen – etwa, weil sie in kohlenstoffintensiven Branchen operieren.
Natürlich sind viele Unternehmen zurzeit in Sorge. Wir bekommen immer wieder die Frage von Kunden mit hohen CO2-Emissionen, ob wir sie nun fallen lassen. Unsere Antwort darauf ist, dass wir uns gemeinsam auf diesen Transformationspfad begeben wollen.
Unsere Linie ist klar. Wir stehen an der Seite unserer Kunden:
Dafür braucht es natürlich auch die Bereitschaft der Kunden, diesen Weg zu gehen. Aber die ist da: Wir erleben, dass immer mehr Unternehmen eigene ESGAmbitionen aus freiwilligen Stücken entwickeln.
Die Rolle der Politik
Damit komme ich zum dritten großen Akteur, der für den Erfolg der nachhaltigen
Transformation in Deutschland und Europa maßgeblich sein wird: unsere Politikerinnen und Politiker. Unsere Regierungen sind gefordert. Und allen voran, liebe Frau Vestager, auch die EU-Kommission.
Wie gesagt, die Ausgangsposition ist gut: Die Affinität der Menschen in Europa für das Megathema Nachhaltigkeit ist hoch, gleichzeitig sind wir bei vielen grünen Technologien auf Augenhöhe mit den USA und China oder haben sogar einen Vorsprung. Ich bin mir sicher, wir sind uns einig, wenn ich sage: Diese Chance für unseren Kontinent müssen wir jetzt entschlossen nutzen.
Dafür brauchen wir die Politik, damit sie einen neuen Rahmen setzt: Ich habe bereits von den Billionen-Investitionen gesprochen, die die nachhaltige
Transformation erfordert. Das, meine Damen und Herren, können auch wir Banken nicht im Alleingang stemmen – und dürfen es aus Gründen der Risikosteuerung auch gar nicht. Wir müssen also auch andere Quellen nutzen, um Kapital im größtmöglichen Umfang zu mobilisieren.
Staatliche Investitionen können hier zwar als Katalysator dienen – indem sie die Infrastruktur ausbauen und gezielt Industrien fördern, die für unsere zukünftige Wettbewerbsfähigkeit entscheidend sind.
Aber auch das wird nicht reichen. Wenn wir die nachhaltige Transformation in
Europa vorantreiben wollen, werden wir uns endlich auch mehr für privatwirtschaftliches Kapital öffnen müssen. Gerade im Bereich Umwelt entstehen ganz neue Geschäftsmodelle, die finanziert werden müssen – und dafür braucht es Wagniskapital. Die Unicorns, also die Einhörner des Jahres 2025 sind möglicherweise noch gar nicht geboren.
Die Voraussetzungen dafür, dass sie in Europa aufwachsen, sind nicht gut. Selbst europäische Unternehmen wie Biontech gehen irgendwann an den US-
Kapitalmarkt. Denn die Amerikaner sind uns weit voraus, wenn es um die Tiefe und auch die Breite des Kapitalmarkts geht.
Das müssen wir ändern. Wir müssen dringend aufholen – mit leistungsfähigen Banken und deutlich besseren Marktbedingungen. Ohne diese Grundvoraussetzung werden wir keinen Erfolg haben.
Drei Faktoren sind dafür entscheidend, die endlich viel stärker auf die politische Agenda gehoben werden müssen:
Deshalb müssen wir die Rahmenbedingungen schaffen, um endlich grenzüberschreitende Fusionen zu ermöglichen. Und hier ist zuallererst die Politik gefragt.
Und lassen Sie mich noch einen Wunsch äußern: Wir sollten in Europa bitte endlich damit aufhören, über das Investmentbanking die Nase zu rümpfen.
Investmentbanking, und damit meine ich hier vor allem das Kapitalmarktgeschäft, ist für unsere Kunden unabdingbar.
Gerade die Finanzierung der Nachhaltigkeit ist ganz eng mit dem Kapitalmarkt verbunden, weil die Unternehmen hier die Transparenz des Marktes nutzen. Wenn nun also Nachhaltigkeit – richtigerweise – zum Megatrend wird, sollten wir diese Bedeutung des Kapitalmarktes anerkennen. Mehr noch: Wir sollten es gut heißen, dass wir in Europa noch Investmentbanken in den eigenen Reihen haben und unsere Unternehmen nicht ausschließlich auf die Gelder der Wall-Street-Banken angewiesen sind.
Warum wir das große Potenzial nutzen müssen
Meine Damen und Herren,
ein solches Umdenken, ein stärkeres gegenseitiges Vertrauen könnte viele positive Kräfte freisetzen. Wir haben es in der Hand: Wenn wir es schaffen, dass die drei Gruppen von Akteuren – wir, die Banken, unsere Kundinnen und Kunden und auch die politischen Entscheidungsträger – weitgehend an einem Strang ziehen, dann können wir echtes Neuland betreten, ja wir können es sogar erobern.
Ich habe keine Zweifel: Deutschland und Europa haben das Potenzial und damit auch die große Chance, die nachhaltige Transformation ihrer Volkswirtschaften zu einem weltweiten Erfolgsmodell zu machen. Insbesondere in Deutschland sehe ich großartige Voraussetzungen. Wir brauchen jetzt aber den Fokus, die Klarheit, den Willen und die Führung, um die Dinge schnell und entschlossen umzusetzen.
Wie gut wir diese Chance nutzen, wird maßgeblich darüber entscheiden, wo wir in 50 oder 100 Jahren als Volkswirtschaft und somit auch als Gesellschaft stehen werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Wie hilfreich war der Artikel?
Wählen Sie Sterne aus, um eine Bewertung abzugeben