Christian Sewings Rede bei der Euro Finance Week 2020
Vielen Dank, lieber Herr Scholz, für die freundlichen Worte und die Einladung, heute hier zu sprechen.
Sehr geehrter Herr Minister,
sehr geehrter Herr Staatssekretär,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
zum ersten Mal eröffne ich heute die Euro Finance Week, insofern ist diese Rede etwas Besonderes für mich. Sicher, ich habe dabei nicht das beste Jahr erwischt – bleibt uns doch nur, uns hier im virtuellen Raum zu treffen. Und das kann den persönlichen Austausch nicht ersetzen. Aber der direkte Dialog, wenn auch nur digital, wird in diesen Zeiten umso wichtiger.
Also trösten wir uns mit Rainer Maria Rilke, der schon Anfang des 20. Jahrhunderts wusste:
Im Grund ist Entfernung kein Hindernis, sich zu erreichen.
Da sollte es uns doch heutzutage allemal gelingen, auch unter strengen Hygieneregeln eine spannende Konferenz zu erleben.
Eine Konferenz, die natürlich stark geprägt sein wird vom allgegenwärtigen Virus und den ökonomischen Folgen. Wir erleben derzeit den schärfsten wirtschaftlichen Einbruch der Nachkriegsgeschichte. Und dafür, meine Damen und Herren, ist es ziemlich ruhig rund um Europas Banken. Wir werden als Teil der Lösung wahrgenommen und nicht als Problem. Das war bei vergangenen Krisen, allen voran 2008, ganz anders.
Doch wir alle wissen auch, dass diese Krise noch nicht vorbei ist. In Deutschland befinden wir uns mitten in der zweiten Welle, in manchen anderen Ländern wie den Vereinigten Staaten spricht man schon von der dritten Welle. Unserer Wirtschaft steht, so viel ist jetzt schon klar, ein harter Winter bevor. Im vierten Quartal dürfte das Bruttoinlandsprodukt nun schrumpfen.
Die Entwicklung im kommenden Jahr wird stark davon abhängen, ob sich die Hoffnung erfüllt, dass wir bald einen effektiven Impfstoff haben. Sollten Pfizer und BioNTech ihr Vakzin erfolgreich an den Markt bringen, würde dies die wirtschaftliche Erholung sicher beschleunigen. Doch es wird Monate dauern, bis auch nur die Risikogruppen durchgeimpft sind. Und wir alle wissen, dass Rückschläge möglich bleiben – was die Stimmung in der Wirtschaft umso stärker dämpfen könnte.
Europa steht vor einer Dreifach-Transformation
Damit nicht genug. Die kurzfristigen Folgen der Krise sollten uns nicht den Blick verstellen auf die fundamentalen Umbrüche, die sich gerade weltweit vollziehen – und die die Wirtschaft der kommenden Jahrzehnte tiefgreifend prägen werden:
Das beginnt bei der Staatsverschuldung: Durch die Corona-Programme der Regierungen wird sie in vielen wichtigen Volkswirtschaften dieses Jahr die Marke von 100 Prozent überschreiten. Das ist eine Größenordnung, in der Studien zufolge die Wirtschaft mittelfristig unter der Schuldenlast leidet. Klar ist auch: Tragbar ist diese Schuldenlast für viele Länder nur bei sehr niedrigen Zinsen – ein Grund, warum ein Ende der extrem lockeren Geldpolitik immer unrealistischer wird.
Wir stehen außerdem vor einer gigantischen Transformation, die es so seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr gegeben hat:
Da ist zum einen die digitale Disruption, die einen tiefgreifenden Wandel in der Wirtschaft mit sich bringt. Der Videokonferenzdienst Zoom ist an der Börse heute mehr wert als jede europäische Bank, und Tesla ist den klassischen Autoherstellern bei der Marktkapitalisierung längst weit enteilt.
Gleichzeitig müssen wir uns von innerhalb kurzer Zeit einer Kohlenstoff-intensiven Wirtschaft verabschieden, wenn die Menschheit eine lebenswerte Zukunft haben soll. Diese Transformation bringt ebenfalls einen großen Finanzierungsbedarf mit sich.
All das muss finanziert und erwirtschaftet werden – und zwar von einer Weltwirtschaft, in der sich die Spielregeln gerade fundamental ändern. Das ist die dritte wichtige Variable: Die goldene Ära des Welthandels und der fast ungehinderten Globalisierung geht zu Ende. Das deutlichste Zeichen dafür ist die Konfrontation zwischen China und den Vereinigten Staaten. Und während die USA in den vergangenen Jahren immer protektionistischer agierten, hat China in Asien gerade das größte Freihandelsabkommen der Welt geschmiedet – damit macht sich das Land unabhängiger vom Westen und baut seinen Einfluss aus.
Die meisten Experten sind sich einig, dass auch der neue US-Präsident Joe Biden diese Entwicklung nicht einfach zurückdrehen wird – auch wenn sich nun wieder leichter Brücken bauen lassen. Anders als wir es in den vergangenen vier Jahren vielfach wahrgenommen haben, geht es hier nicht nur um einzelne Politiker. Es geht um den Wettlauf um die ökonomische Vorherrschaft im 21. Jahrhundert. Darum, wer dort die Standards setzt, wo in den kommenden Jahrzehnten die große Wachstumschance liegt: bei digitalen Technologien und Geschäftsmodellen.
Genau dafür muss sich nun Europa wappnen. Es steht in diesem Konflikt nicht mehr nur geographisch in der Mitte, sondern auch wirtschaftlich – eine Position, die sich nur schwer halten lassen wird. Was uns bevorsteht, bezeichnen unsere Volkswirte daher als ein „Zeitalter der Unordnung“. Man könnte auch von einer Dreifach-Transformation sprechen:
Wir werden uns verabschieden müssen von vielen Gewissheiten der vergangenen 30 Jahre, in denen Europa und gerade auch Deutschland von einem immer offeneren Weltmarkt profitiert hat.
Wir müssen in einer beispiellosen Technologie-Revolution Schritt halten.
Und wir müssen unsere Wirtschaft im selben Tempo nachhaltiger und klimaschonender machen.
Wie Europa diese Dreifach-Transformation meistert, wird darüber entscheiden, ob wir auch in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts wirtschaftlich noch relevant sind.
Die Rolle der Finanzbranche
Warum spreche ich so ausführlich über dieses Gesamtbild, wenn es bei dieser Konferenz doch eigentlich um den Finanzsektor gehen soll? Weil ich vollkommen überzeugt bin: Unsere Branche spielt in dieser Entwicklung eine zentrale Rolle. Wir müssen unseren Beitrag leisten, wir müssen und wollen diese Transformation mitfinanzieren – und dafür müssen wir selbst stärker werden. Nur mit starken Banken und einem starken Kapitalmarkt wird Europa die Mittel aufbringen für den Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie. Und für die Transformation der Wirtschaft, die gewaltige Investitionen erfordert – etwa in digitale Innovation und Infrastruktur, in eine nachhaltigere Wirtschaft.
Banken
Wenn der europäische Finanzsektor seinen Beitrag leisten soll, dann sind zu allererst wir Banken gefragt. Gerade mal 16 Prozent der Unternehmensfinanzierung in Europa läuft direkt über den Kapitalmarkt – wenn Firmen mehr investieren sollen, dann kommt es also entscheidend auf die traditionelle Kreditwirtschaft an.
Doch leider passt die Verfassung der europäischen Banken nicht wirklich zu dieser gewaltigen volkswirtschaftlichen Bedeutung. Es ist schon paradox: In den Vereinigten Staaten haben Banken eine viel geringere Bedeutung für die Finanzierung der Wirtschaft, dort laufen rund zwei Drittel der Finanzierungen über den Kapitalmarkt. Gleichwohl aber sind die Banken dort viel größer und vor allem stärker als hierzulande.
Von den 20 größten Banken der Welt sitzt keine mehr in der Europäischen Union. Der Gewinn der zehn größten EU-Banken betrug im vergangenen Jahr 36 Milliarden Euro – bei den zehn größten Amerikanern war es das Dreieinhalbfache. Und bei Börsengängen oder der Beratung rund um Fusionen und Übernahmen finden sich an der Spitze der Ranglisten fast ausschließlich nichteuropäische Anbieter – als Deutsche Bank gehören wir zu den sehr wenigen Europäern, die da überhaupt noch mithalten können.
Lange schien dieses Missverhältnis in Europa kaum jemanden zu interessieren – selbst in Teilen unserer Branche nicht. Stattdessen wurde gerne diskutiert, ob es nicht völlig ausreichend sei, wenn sich die Unternehmen auf starke Auslandsbanken stützen können. Doch, meine Damen und Herren, das sollte die Lehre aus den vergangenen Jahren sein: Wenn die Globalisierung mehr und mehr zum Flickenteppich wird, dann können wir bei der Finanzierung unserer Wirtschaft nicht vor allem vom Import von Bankdienstleistungen und Kapital abhängig sein. Das wäre fahrlässig. Wenn wir also vom europäischen Bankensystem sprechen, dann geht es um eine Frage von geopolitischer Bedeutung.
Was folgt nun daraus?
Zu allererst sind natürlich wir Banken selbst gefragt. In der Corona-Krise erweist sich der Sektor zwar als robuster als noch vor zehn Jahren, was zweifellos ein großer Fortschritt ist. Doch wir sind vielfach schlicht nicht profitabel genug, um selbst weiteres Kapital und damit weitere Kapazität für unser Geschäft zu generieren. Wir Banken müssen weiter an unseren Kosten arbeiten, wir müssen in unsere Technologie investieren, wir müssen innovativer werden.
Vor allem aber brauchen wir mehr Fokus. Bei der Deutschen Bank haben wir uns deshalb im vergangenen Jahr entschieden, uns konsequent auf unsere Stärken zu konzentrieren. Wir machen nur noch das, was wir besonders gut können. Dazu zählt unter anderem, dass wir eines der großen Finanzierungshäuser der Welt sind: Wir haben eine Kreditportfolio von mehr als 430 Milliarden Euro, wir sind einer der großen Anleihenemittenten und stellen mit unserer Plattform zusammen mit wenigen anderen Banken den globalen Anleihehandel sicher.
Vor allem aber: Wir haben die Expertise, das Risikomanagement und das Kapital dafür. Wir sind also mittendrin, wenn es darum geht, den aktuellen Finanzierungsbedarf zu erfüllen.
Unsere Neuausrichtung zahlt sich bereits aus: Wir konnten in den vergangenen Quartalen unsere Erträge und in einigen wichtigen Bereichen auch unsere Markanteile steigern, trotz all des Gegenwinds. Und wir gehen davon aus, dass der größere Teil dieses Ertragszuwachses nachhaltig ist.
Der Fokus einzelner Institute wird aber nicht reichen. Als Sektor insgesamt müssen wir mittelfristig in Europa unser größtes Strukturproblem angehen: die Zersplitterung. Ich habe diese Zahl schon oft genannt, und ich bitte um Nachsicht, wenn ich Sie damit ein weiteres Mal behelligen muss: Mehr als 5000 Finanzinstitute in Europa sind einfach viel zu viele! Zu viel für ein Geschäft, in dem Skaleneffekte so wichtig sind wie nur in wenigen anderen Branchen – sowohl für die Kosten als auch für die Investitionskraft.
Warum aber kommt es nicht zu einer Konsolidierung?
Weil sie die richtigen Rahmenbedingungen braucht, die es in Europa nicht gibt. Grenzüberschreitende Zusammenschlüsse werden erst dann wirklich attraktiv, wenn wir die Bankenunion vollendet haben. Bei den letzten offenen Fragen – namentlich der Einlagensicherung – geht es seit Jahren nicht weiter. Ich würde mir wünschen, dass die schiere Dimension der aktuellen Herausforderungen der Politik hilft, diese Blockade endlich zu brechen.
Wir begrüßen daher die konstruktiven Vorschläge des Bundesfinanzministeriums, um wieder Bewegung in dieses Thema zu bringen und die Verhandlungen hoffentlich bald abzuschließen. Nun sollten sich auch andere Akteure bewegen, die das Projekt bisher eher bremsen – gerade auch innerhalb der Finanzbranche.
Ebenso würde ich mir wünschen, dass wir in diesem Umfeld noch einmal offen darüber diskutieren, welche Regulierung für Europa sinnvoll ist. Die Regulierer und Aufsichtsbehörden haben in der Corona-Krise schnell reagiert und mit vorübergehenden Maßnahmen dafür gesorgt, dass die Banken die Wirtschaft unterstützen können. Aber wir haben zusätzliches Potential: So ist aus unserer Sicht die Frage berechtigt, ob es wirklich sinnvoll ist, in dieser schwierigen Phase für die Wirtschaft den gemeinsamen Abwicklungsfonds in Europa noch weiter zu füllen als ursprünglich geplant.
Eine Zahl sagt Ihnen, was ich damit meine: Eine Milliarde Euro Eigenkapital bei Banken ermöglicht rund 20 Milliarden Euro an Kredit für die Wirtschaft. Allein für dieses Jahr aber haben die europäischen Banken 9,2 Milliarden Euro in den sogenannten Single Resolution Fund eingezahlt – mehr als zu erwarten war und 18 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Daher sollten wir beim ursprünglich vereinbarten Volumen des Fonds in Höhe von 55 Milliarden Euro bleiben, um Planungssicherheit zu schaffen. Die frei werdenden Mittel ließen sich gerade jetzt für die Finanzierung der Wirtschaft nutzen.
Zu guter Letzt ist es wichtig, strukturelle Themen auch langfristig zu adressieren.
Warum sollen wir beispielsweise über den Basel-Prozess in der Europäischen Union neue Vorschriften für risikogewichtete Aktiva einführen, die nur bedingt zur Bankenlandschaft in Europa und der eher kreditlastigen Struktur unserer Unternehmensfinanzierung passen? Wenn gleichzeitig andere Regionen der Welt das Rahmenwerk aus Basel seit jeher recht freizügig anpassen?
Gerade jetzt, da die Wirtschaft die Kreditversorgung durch die Banken besonders braucht, sollten wir uns die Zeit nehmen, die Folgen der Basel-Regeln für Europas Banken genau abzuschätzen. Wir sollten es uns bei der anstehenden Transformation unserer Wirtschaft nicht noch schwerer machen, als es ohnehin werden wird.
Kapitalmarkt
Wir sollten aber auch nicht glauben, dass sich die Dreifach-Transformation einzig über die Bankbilanzen finanzieren ließe. Europa muss seinen Kapitalmarkt weiterentwickeln und besser nutzen – wann, wenn nicht jetzt? Wenn wir erreichen wollen, dass sich Unternehmen leichter über den Kapitalmarkt finanzieren können – und zwar nicht nur große Konzerne, sondern auch der Mittelstand – dann müssen wir hier unsere Kleinstaaterei überwinden. Dann darf sich ein Anleiheninvestor nicht mehr mit 27 verschiedenen Wertpapierhandelsgesetzen und Insolvenzregelungen in Europa auseinandersetzen müssen. Und zu einem funktionierenden Kapitalmarkt gehört auch, dass Unternehmen grundsätzlich frei entscheiden, ob sie eine Dividende zahlen oder nicht.
Die Pläne für eine Kaitalmarktunion lagen über Jahre weitgehend unberührt in der Schublade. Die Corona-Krise hat nun wieder etwas Dynamik in das Thema gebracht. So hat die Kommission zum Beispiel Erleichterungen bei den starren Regeln zur Kundeninformation vorgeschlagen. An solche Initiativen gilt es nun anzuknüpfen.
Nachhaltigkeit als Chance
Ein weiter entwickelter Kapitalmarkt ist vor allem auch die Voraussetzung dafür, um den Wandel hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft zu finanzieren. Allein mit Blick auf den Klimaschutz kalkuliert die OECD weltweit mit Investitionen von sechs Billionen Euro pro Jahr bis 2030. Hier liegt sogar eine große Chance für Europa: Wir können für uns in Anspruch nehmen, früher als andere Teile der Welt erkannt zu haben, dass wir viel mehr für Nachhaltigkeit, allen voran Klimaschutz und Artenvielfalt, tun müssen – und das mit wirtschaftlichem Wachstum verbinden können.
Diese Vorreiterrolle schlägt sich auch im Marktgeschehen wieder: Während insgesamt nur etwa ein Viertel aller weltweit gehandelten Anleihen auf den europäischen Markt entfallen, ist Europas Anteil bei grünen Anleihen mehr als doppelt so hoch. Und wenn man sich anschaut, welche Banken weltweit die meisten solcher Anleihen an den Markt bringen, dann kamen etwa im dritten Quartal sieben der ersten zehn aus Europa und fünf davon aus der EU. Da ist es umso ermutigender, dass viele umwelt- und klimafreundliche Technologien hier entwickelt werden.
Doch andere Teile der Welt holen gerade rapide auf, was sich etwa bei der Elektromobilität zeigt. Wir müssen also schneller werden – auch auf der Finanzierungsseite. Dazu gehört neben einem einheitlichen Kapitalmarkt, dass wir mit der so genannten EU-Taxonomie einheitliche Kriterien schaffen, welche Finanzierungen als nachhaltig einzustufen sind und welche nicht. Und damit weltweit einen Standard setzen. Wir sollten außerdem prüfen, wo gezielte regulatorische Vorteile für nachhaltige Kredite sinnvoll sein könnten – zum Beispiel in Form von Eigenkapital-Abschlägen für nachweislich risikoarme Finanzierungen wie etwa grüne Hypotheken.
Führend bei nachhaltigen Finanzierungen zu bleiben, das ist im besten Interesse unserer europäischen Wirtschaft – und unserer Finanzbranche.
Schluss
Meine Damen und Herren, uns stehen also große Aufgaben, eine große Transformation bevor. Es geht nicht nur um die Welt mit Covid, sondern auch um die Welt nach Covid. Wir müssen nun schnell die Voraussetzungen schaffen, die Dreifach-Transformation in Europa gestalten zu können, statt von ihr gestaltet zu werden. Wir müssen die treibende Kraft einer neuen Form der Globalisierung, einer digitaleren und einer nachhaltigeren Wirtschaft sein – um nicht von anderen getrieben zu werden.
Es ist also nicht überzogen zu sagen, dass wir vor einem Jahrzehnt der entscheidenden Weichenstellungen stehen. Ein Jahrzehnt, das Europas wirtschaftlichen Platz in der Welt für lange Zeit definieren wird. Es ist eine Herausforderung, die Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen betrifft. Wenn wir als Banken zeigen wollen, dass wir in der Mitte dieser Gesellschaft stehen, dann ist jetzt die beste Zeit dafür. Wir müssen unseren Beitrag leisten zu diesem historischen Wandel. Damit Europa relevant bleibt. Und damit wir selbst relevant bleiben.
Ich bin mir sicher, dass die Euro Finance Week in dieser Woche wichtige Impulse liefern kann, wie wir auf diesem Weg vorankommen können.
Vielen Dank, lieber Herr Scholz, für die freundlichen Worte und die Einladung, heute hier zu sprechen.
Sehr geehrter Herr Minister,
sehr geehrter Herr Staatssekretär,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
zum ersten Mal eröffne ich heute die Euro Finance Week, insofern ist diese Rede etwas Besonderes für mich. Sicher, ich habe dabei nicht das beste Jahr erwischt – bleibt uns doch nur, uns hier im virtuellen Raum zu treffen. Und das kann den persönlichen Austausch nicht ersetzen. Aber der direkte Dialog, wenn auch nur digital, wird in diesen Zeiten umso wichtiger.
Also trösten wir uns mit Rainer Maria Rilke, der schon Anfang des 20. Jahrhunderts wusste:
Da sollte es uns doch heutzutage allemal gelingen, auch unter strengen Hygieneregeln eine spannende Konferenz zu erleben.
Eine Konferenz, die natürlich stark geprägt sein wird vom allgegenwärtigen Virus und den ökonomischen Folgen. Wir erleben derzeit den schärfsten wirtschaftlichen Einbruch der Nachkriegsgeschichte. Und dafür, meine Damen und Herren, ist es ziemlich ruhig rund um Europas Banken. Wir werden als Teil der Lösung wahrgenommen und nicht als Problem. Das war bei vergangenen Krisen, allen voran 2008, ganz anders.
Doch wir alle wissen auch, dass diese Krise noch nicht vorbei ist. In Deutschland befinden wir uns mitten in der zweiten Welle, in manchen anderen Ländern wie den Vereinigten Staaten spricht man schon von der dritten Welle. Unserer Wirtschaft steht, so viel ist jetzt schon klar, ein harter Winter bevor. Im vierten Quartal dürfte das Bruttoinlandsprodukt nun schrumpfen.
Die Entwicklung im kommenden Jahr wird stark davon abhängen, ob sich die Hoffnung erfüllt, dass wir bald einen effektiven Impfstoff haben. Sollten Pfizer und BioNTech ihr Vakzin erfolgreich an den Markt bringen, würde dies die wirtschaftliche Erholung sicher beschleunigen. Doch es wird Monate dauern, bis auch nur die Risikogruppen durchgeimpft sind. Und wir alle wissen, dass Rückschläge möglich bleiben – was die Stimmung in der Wirtschaft umso stärker dämpfen könnte.
Europa steht vor einer Dreifach-Transformation
Damit nicht genug. Die kurzfristigen Folgen der Krise sollten uns nicht den Blick verstellen auf die fundamentalen Umbrüche, die sich gerade weltweit vollziehen – und die die Wirtschaft der kommenden Jahrzehnte tiefgreifend prägen werden:
Die meisten Experten sind sich einig, dass auch der neue US-Präsident Joe Biden diese Entwicklung nicht einfach zurückdrehen wird – auch wenn sich nun wieder leichter Brücken bauen lassen. Anders als wir es in den vergangenen vier Jahren vielfach wahrgenommen haben, geht es hier nicht nur um einzelne Politiker. Es geht um den Wettlauf um die ökonomische Vorherrschaft im 21. Jahrhundert. Darum, wer dort die Standards setzt, wo in den kommenden Jahrzehnten die große Wachstumschance liegt: bei digitalen Technologien und Geschäftsmodellen.
Genau dafür muss sich nun Europa wappnen. Es steht in diesem Konflikt nicht mehr nur geographisch in der Mitte, sondern auch wirtschaftlich – eine Position, die sich nur schwer halten lassen wird. Was uns bevorsteht, bezeichnen unsere Volkswirte daher als ein „Zeitalter der Unordnung“. Man könnte auch von einer Dreifach-Transformation sprechen:
Wie Europa diese Dreifach-Transformation meistert, wird darüber entscheiden, ob wir auch in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts wirtschaftlich noch relevant sind.
Die Rolle der Finanzbranche
Warum spreche ich so ausführlich über dieses Gesamtbild, wenn es bei dieser Konferenz doch eigentlich um den Finanzsektor gehen soll? Weil ich vollkommen überzeugt bin: Unsere Branche spielt in dieser Entwicklung eine zentrale Rolle. Wir müssen unseren Beitrag leisten, wir müssen und wollen diese Transformation mitfinanzieren – und dafür müssen wir selbst stärker werden. Nur mit starken Banken und einem starken Kapitalmarkt wird Europa die Mittel aufbringen für den Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie. Und für die Transformation der Wirtschaft, die gewaltige Investitionen erfordert – etwa in digitale Innovation und Infrastruktur, in eine nachhaltigere Wirtschaft.
Banken
Wenn der europäische Finanzsektor seinen Beitrag leisten soll, dann sind zu allererst wir Banken gefragt. Gerade mal 16 Prozent der Unternehmensfinanzierung in Europa läuft direkt über den Kapitalmarkt – wenn Firmen mehr investieren sollen, dann kommt es also entscheidend auf die traditionelle Kreditwirtschaft an.
Doch leider passt die Verfassung der europäischen Banken nicht wirklich zu dieser gewaltigen volkswirtschaftlichen Bedeutung. Es ist schon paradox: In den Vereinigten Staaten haben Banken eine viel geringere Bedeutung für die Finanzierung der Wirtschaft, dort laufen rund zwei Drittel der Finanzierungen über den Kapitalmarkt. Gleichwohl aber sind die Banken dort viel größer und vor allem stärker als hierzulande.
Von den 20 größten Banken der Welt sitzt keine mehr in der Europäischen Union. Der Gewinn der zehn größten EU-Banken betrug im vergangenen Jahr 36 Milliarden Euro – bei den zehn größten Amerikanern war es das Dreieinhalbfache. Und bei Börsengängen oder der Beratung rund um Fusionen und Übernahmen finden sich an der Spitze der Ranglisten fast ausschließlich nichteuropäische Anbieter – als Deutsche Bank gehören wir zu den sehr wenigen Europäern, die da überhaupt noch mithalten können.
Lange schien dieses Missverhältnis in Europa kaum jemanden zu interessieren – selbst in Teilen unserer Branche nicht. Stattdessen wurde gerne diskutiert, ob es nicht völlig ausreichend sei, wenn sich die Unternehmen auf starke Auslandsbanken stützen können. Doch, meine Damen und Herren, das sollte die Lehre aus den vergangenen Jahren sein: Wenn die Globalisierung mehr und mehr zum Flickenteppich wird, dann können wir bei der Finanzierung unserer Wirtschaft nicht vor allem vom Import von Bankdienstleistungen und Kapital abhängig sein. Das wäre fahrlässig. Wenn wir also vom europäischen Bankensystem sprechen, dann geht es um eine Frage von geopolitischer Bedeutung.
Was folgt nun daraus?
Zu allererst sind natürlich wir Banken selbst gefragt. In der Corona-Krise erweist sich der Sektor zwar als robuster als noch vor zehn Jahren, was zweifellos ein großer Fortschritt ist. Doch wir sind vielfach schlicht nicht profitabel genug, um selbst weiteres Kapital und damit weitere Kapazität für unser Geschäft zu generieren. Wir Banken müssen weiter an unseren Kosten arbeiten, wir müssen in unsere Technologie investieren, wir müssen innovativer werden.
Vor allem aber brauchen wir mehr Fokus. Bei der Deutschen Bank haben wir uns deshalb im vergangenen Jahr entschieden, uns konsequent auf unsere Stärken zu konzentrieren. Wir machen nur noch das, was wir besonders gut können. Dazu zählt unter anderem, dass wir eines der großen Finanzierungshäuser der Welt sind: Wir haben eine Kreditportfolio von mehr als 430 Milliarden Euro, wir sind einer der großen Anleihenemittenten und stellen mit unserer Plattform zusammen mit wenigen anderen Banken den globalen Anleihehandel sicher.
Vor allem aber: Wir haben die Expertise, das Risikomanagement und das Kapital dafür. Wir sind also mittendrin, wenn es darum geht, den aktuellen Finanzierungsbedarf zu erfüllen.
Unsere Neuausrichtung zahlt sich bereits aus: Wir konnten in den vergangenen Quartalen unsere Erträge und in einigen wichtigen Bereichen auch unsere Markanteile steigern, trotz all des Gegenwinds. Und wir gehen davon aus, dass der größere Teil dieses Ertragszuwachses nachhaltig ist.
Der Fokus einzelner Institute wird aber nicht reichen. Als Sektor insgesamt müssen wir mittelfristig in Europa unser größtes Strukturproblem angehen: die Zersplitterung. Ich habe diese Zahl schon oft genannt, und ich bitte um Nachsicht, wenn ich Sie damit ein weiteres Mal behelligen muss: Mehr als 5000 Finanzinstitute in Europa sind einfach viel zu viele! Zu viel für ein Geschäft, in dem Skaleneffekte so wichtig sind wie nur in wenigen anderen Branchen – sowohl für die Kosten als auch für die Investitionskraft.
Warum aber kommt es nicht zu einer Konsolidierung?
Weil sie die richtigen Rahmenbedingungen braucht, die es in Europa nicht gibt. Grenzüberschreitende Zusammenschlüsse werden erst dann wirklich attraktiv, wenn wir die Bankenunion vollendet haben. Bei den letzten offenen Fragen – namentlich der Einlagensicherung – geht es seit Jahren nicht weiter. Ich würde mir wünschen, dass die schiere Dimension der aktuellen Herausforderungen der Politik hilft, diese Blockade endlich zu brechen.
Wir begrüßen daher die konstruktiven Vorschläge des Bundesfinanzministeriums, um wieder Bewegung in dieses Thema zu bringen und die Verhandlungen hoffentlich bald abzuschließen. Nun sollten sich auch andere Akteure bewegen, die das Projekt bisher eher bremsen – gerade auch innerhalb der Finanzbranche.
Ebenso würde ich mir wünschen, dass wir in diesem Umfeld noch einmal offen darüber diskutieren, welche Regulierung für Europa sinnvoll ist. Die Regulierer und Aufsichtsbehörden haben in der Corona-Krise schnell reagiert und mit vorübergehenden Maßnahmen dafür gesorgt, dass die Banken die Wirtschaft unterstützen können. Aber wir haben zusätzliches Potential: So ist aus unserer Sicht die Frage berechtigt, ob es wirklich sinnvoll ist, in dieser schwierigen Phase für die Wirtschaft den gemeinsamen Abwicklungsfonds in Europa noch weiter zu füllen als ursprünglich geplant.
Eine Zahl sagt Ihnen, was ich damit meine: Eine Milliarde Euro Eigenkapital bei Banken ermöglicht rund 20 Milliarden Euro an Kredit für die Wirtschaft. Allein für dieses Jahr aber haben die europäischen Banken 9,2 Milliarden Euro in den sogenannten Single Resolution Fund eingezahlt – mehr als zu erwarten war und 18 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Daher sollten wir beim ursprünglich vereinbarten Volumen des Fonds in Höhe von 55 Milliarden Euro bleiben, um Planungssicherheit zu schaffen. Die frei werdenden Mittel ließen sich gerade jetzt für die Finanzierung der Wirtschaft nutzen.
Zu guter Letzt ist es wichtig, strukturelle Themen auch langfristig zu adressieren.
Warum sollen wir beispielsweise über den Basel-Prozess in der Europäischen Union neue Vorschriften für risikogewichtete Aktiva einführen, die nur bedingt zur Bankenlandschaft in Europa und der eher kreditlastigen Struktur unserer Unternehmensfinanzierung passen? Wenn gleichzeitig andere Regionen der Welt das Rahmenwerk aus Basel seit jeher recht freizügig anpassen?
Gerade jetzt, da die Wirtschaft die Kreditversorgung durch die Banken besonders braucht, sollten wir uns die Zeit nehmen, die Folgen der Basel-Regeln für Europas Banken genau abzuschätzen. Wir sollten es uns bei der anstehenden Transformation unserer Wirtschaft nicht noch schwerer machen, als es ohnehin werden wird.
Kapitalmarkt
Wir sollten aber auch nicht glauben, dass sich die Dreifach-Transformation einzig über die Bankbilanzen finanzieren ließe. Europa muss seinen Kapitalmarkt weiterentwickeln und besser nutzen – wann, wenn nicht jetzt? Wenn wir erreichen wollen, dass sich Unternehmen leichter über den Kapitalmarkt finanzieren können – und zwar nicht nur große Konzerne, sondern auch der Mittelstand – dann müssen wir hier unsere Kleinstaaterei überwinden. Dann darf sich ein Anleiheninvestor nicht mehr mit 27 verschiedenen Wertpapierhandelsgesetzen und Insolvenzregelungen in Europa auseinandersetzen müssen. Und zu einem funktionierenden Kapitalmarkt gehört auch, dass Unternehmen grundsätzlich frei entscheiden, ob sie eine Dividende zahlen oder nicht.
Die Pläne für eine Kaitalmarktunion lagen über Jahre weitgehend unberührt in der Schublade. Die Corona-Krise hat nun wieder etwas Dynamik in das Thema gebracht. So hat die Kommission zum Beispiel Erleichterungen bei den starren Regeln zur Kundeninformation vorgeschlagen. An solche Initiativen gilt es nun anzuknüpfen.
Nachhaltigkeit als Chance
Ein weiter entwickelter Kapitalmarkt ist vor allem auch die Voraussetzung dafür, um den Wandel hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft zu finanzieren. Allein mit Blick auf den Klimaschutz kalkuliert die OECD weltweit mit Investitionen von sechs Billionen Euro pro Jahr bis 2030. Hier liegt sogar eine große Chance für Europa: Wir können für uns in Anspruch nehmen, früher als andere Teile der Welt erkannt zu haben, dass wir viel mehr für Nachhaltigkeit, allen voran Klimaschutz und Artenvielfalt, tun müssen – und das mit wirtschaftlichem Wachstum verbinden können.
Diese Vorreiterrolle schlägt sich auch im Marktgeschehen wieder: Während insgesamt nur etwa ein Viertel aller weltweit gehandelten Anleihen auf den europäischen Markt entfallen, ist Europas Anteil bei grünen Anleihen mehr als doppelt so hoch. Und wenn man sich anschaut, welche Banken weltweit die meisten solcher Anleihen an den Markt bringen, dann kamen etwa im dritten Quartal sieben der ersten zehn aus Europa und fünf davon aus der EU. Da ist es umso ermutigender, dass viele umwelt- und klimafreundliche Technologien hier entwickelt werden.
Doch andere Teile der Welt holen gerade rapide auf, was sich etwa bei der Elektromobilität zeigt. Wir müssen also schneller werden – auch auf der Finanzierungsseite. Dazu gehört neben einem einheitlichen Kapitalmarkt, dass wir mit der so genannten EU-Taxonomie einheitliche Kriterien schaffen, welche Finanzierungen als nachhaltig einzustufen sind und welche nicht. Und damit weltweit einen Standard setzen. Wir sollten außerdem prüfen, wo gezielte regulatorische Vorteile für nachhaltige Kredite sinnvoll sein könnten – zum Beispiel in Form von Eigenkapital-Abschlägen für nachweislich risikoarme Finanzierungen wie etwa grüne Hypotheken.
Führend bei nachhaltigen Finanzierungen zu bleiben, das ist im besten Interesse unserer europäischen Wirtschaft – und unserer Finanzbranche.
Schluss
Meine Damen und Herren, uns stehen also große Aufgaben, eine große Transformation bevor. Es geht nicht nur um die Welt mit Covid, sondern auch um die Welt nach Covid. Wir müssen nun schnell die Voraussetzungen schaffen, die Dreifach-Transformation in Europa gestalten zu können, statt von ihr gestaltet zu werden. Wir müssen die treibende Kraft einer neuen Form der Globalisierung, einer digitaleren und einer nachhaltigeren Wirtschaft sein – um nicht von anderen getrieben zu werden.
Es ist also nicht überzogen zu sagen, dass wir vor einem Jahrzehnt der entscheidenden Weichenstellungen stehen. Ein Jahrzehnt, das Europas wirtschaftlichen Platz in der Welt für lange Zeit definieren wird. Es ist eine Herausforderung, die Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen betrifft. Wenn wir als Banken zeigen wollen, dass wir in der Mitte dieser Gesellschaft stehen, dann ist jetzt die beste Zeit dafür. Wir müssen unseren Beitrag leisten zu diesem historischen Wandel. Damit Europa relevant bleibt. Und damit wir selbst relevant bleiben.
Ich bin mir sicher, dass die Euro Finance Week in dieser Woche wichtige Impulse liefern kann, wie wir auf diesem Weg vorankommen können.
Herzlichen Dank.
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