Holz: der nachhaltige Weg für die Stadt der Zukunft?
Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass die Weltbevölkerung in den nächsten 30 Jahren um 2 Mrd. Menschen wachsen wird. Der Bau von Wohnraum aus Beton und Stahl für all diese Menschen würde enorme Mengen an Kohlendioxid freisetzen. Gibt es nachhaltige Alternativen?
Alan Organschi ist ein visionärer Architekt und, neben weiteren Tätigkeiten, Direktor des Innovation Labs der gemeinnützigen Organisation „Bauhaus der Erde“. Wir sprachen mit ihm über die Abkehr vom konventionellen Bauen.
Alan, wie sieht die Stadt der Zukunft aus?
In der Stadt der Zukunft kommen natürliche Materialien anstelle von Stahl oder Beton zum Einsatz. Wir kommen nicht umhin, Baustoffe zu verwenden, die CO2 speichern, wie zum Beispiel Holz. Daher wird es direkt in der Stadt der Zukunft kleinere Wälder geben – zusätzlich zum Stadtwald um sie herum. Wir brauchen die Holzfasern dieser Bäume als Grundlage zum Bauen.
Dabei handelt es sich nicht um eine Einzellösung der Baukunst. Die Stadt wird Teil eines größeren regionalen, autark funktionierenden Ökosystem sein und sich durch die Entwicklung neuer Gebäude und städtischer Strukturtypologien aus Holz von einer Quelle für Kohlenstoffdioxid-Emissionen in eine Kohlenstoffsenke verwandeln: eine Holzstadt.
Das Bauen mit Holz trägt dazu bei, den CO2-Fußabdruck zu verringern.
Wenn man Bäume für den Hausbau fällt, können sie kein CO2 mehr absorbieren ...
Holz setzt CO2 auch nach der Weiterverarbeitung nicht sofort frei und wirkt somit wie ein Speicher. Dies steht im Gegensatz zu den Kohlenstoffdioxid-Emissionen, die bei der Herstellung von Beton oder Stahl freigesetzt werden. Das Bauen mit Holz trägt somit dazu bei, den CO2-Fußabdruck zu verringern. Ein wesentlicher Faktor beim Errichten nachhaltiger Holzstädte ist die Verwendung schnell wachsender Pflanzen oder kleinerer regionaler Baumarten, die lokal verbreitet sind und dort gut wachsen. Diese werden direkt als angrenzender Wald am Stadtrand gepflanzt. Damit wird nicht nur der lokale Materialbedarf gedeckt, sondern auch aufgeforstet.
Was ist mit unseren bestehenden Städten?
In Städten, die über Jahre gewachsen sind, ist es wichtig, mit dem zu arbeiten, was man hat. Das bedeutet, Gebäude sollten saniert und die Materialien, mit denen sie gebaut wurden, wiederverwendet werden – wie in einer Kreislaufwirtschaft. Wenn es um den Bau neuer Städte oder Stadtteile geht, müssen wir hingegen umdenken und Holz verwenden. Selbst Großstädte kann man damit errichten – auch wenn ich so keine Megastädte wie Hongkong konzipieren würde. Aber beispielsweise gibt es in Japan Großstädte mit nur sechs- bis achtstöckigen Gebäuden, diese könnten durchaus aus Holz gebaut werden.
Die gesamte Bauindustrie muss sich komplett umstellen.
Holzstädte sind also die Zukunft. Wie kommen wir dahin?
Schritt für Schritt. Zunächst müssen wir die Menschen von den Vorteilen von Holzhäusern überzeugen. Sie sind entgegen den Erwartungen sehr widerstandsfähig gegen Naturkatastrophen. Durch die Verwendung natürlicher Materialien sind sie unschädlich, ästhetisch und brauchen weniger Ressourcen als gegenwärtige Häuser. Mit kleineren, erfolgreichen Projekten schaffen wir Präzedenzfälle, um die Menschen zu überzeugen. Der nächste und schwierigste Schritt besteht darin, dass sich die wirtschaftlichen Strukturen ändern und wir uns weg von der traditionellen Bauindustrie und hin zu einer Holzindustrie entwickeln.
Was ist die größte Herausforderung?
Die gesamte Bauindustrie muss sich komplett umstellen. Am besten werden nur noch Materialien verwendet, die das Ökosystem nicht zerstören. Wir müssen von der einseitigen verschwenderischen Ressourcen-Gewinnung wegkommen und uns stattdessen auf eine Kreislaufwirtschaft konzentrieren: Wiederverwendung, Reparatur, Renovierung und Recycling. Das ist eine große Umstellung für einen ganzen Industriezweig. Hinzu kommt die menschliche Komponente: Wir alle müssen unsere Gewohnheiten und Denkweisen ändern. Wir haben gelernt, dass viel Raum wertvoll und erstrebenswert ist. Unser Anspruch sollte allerdings sein, den Wohnraum zu verkleinern und ihn gleichzeitig attraktiver und erschwinglicher zu gestalten.
Wie kann das aussehen?
Nehmen Sie unsere Ökohaus-Einheit, die wir 2018 für das Wohn- und Siedlungsprogramm der Vereinten Nationen (UN-Habitat) entworfen haben. Dieses 22 m² große Mikrohaus auf der United Nations Plaza in New York bietet Platz für vier Personen, ist komplett nachhaltig gebaut und verfügt über einen Wohnraum mit Badezimmer, Küche und ein Loft-Schlaflager. Der Energie- und Ressourcenverbrauch ist auf ein Minimum reduziert, da es über ein eigenes Kreislaufsystem für Wasser, Luft, Energie und Abfall verfügt. Viele Besucher vor Ort meinten, dass sie dieses ihrer eigenen Wohnung vorziehen würden!
Aber wollen diese Leute wirklich in einer solchen Einheit leben?
Ja, das glaube ich. Natürlich gibt es Skeptiker, die wird es immer geben. Uns wurde über Jahrzehnte beigebracht, dass Häuser auf eine bestimmte Art und Weise und nach einem bestimmten Standard – beispielsweise aus Beton und Stahl – gebaut werden müssen, und das möglichst geräumig. Deswegen ist es notwendig, den Menschen eine Alternative aufzuzeigen. Wir können veranschaulichen, wie wir nachhaltiger wohnen können. Wir sind auf dem richtigen Weg, wenn wir diese Art von Gebäuden erlebbar machen und die Menschen mit eigenen Augen sehen, wie komfortabel und schön sie wirklich sind.
Es ist notwendig, den Menschen eine Alternative aufzuzeigen.
Sie sind an vielen Projekten gleichzeitig beteiligt. Woran arbeiten Sie im Moment?
Neben meiner Arbeit als Architekt und an Forschungsprojekten wie der Holzstadt sponsern wir im „Bauhaus der Erde“ derzeit einen globalen Bauwettbewerb. Teilnehmer aus der ganzen Welt sind aufgefordert, ein Modellgebäude mit neuen Designstandards zu entwerfen. Dabei sollen verschiedene Materialien und räumliche Strukturen eingesetzt werden, um der lokalen Bevölkerung, dem regionalen Klima oder sozioökonomischen Bedarfen gerecht zu werden.
Über die Holzstadt
Die Idee der Holzstadt ist ein kontinuierliches, mehrjähriges Forschungsprojekt, das die Umwelteffizienz und das industrielle, strukturelle und architektonische Potenzial von städtischen "Massen"-Holzbautechnologien untersucht.
Über Alan Organschi
Alan Organschi ist Design-Direktor und Partner bei Gray Organschi Architecture in New Haven, USA. Außerdem ist er Dozent für Design und Bautechnologie an der Yale School of Architecture.
Zudem ist Alan Direktor des Innovation Labs von „Bauhaus der Erde“ in Berlin, das im April 2021, 100 Jahre nach der Gründung des Bauhauses, ins Leben gerufen wurde. Es ist eine globale, interdisziplinäre Initiative mit dem Ziel, das Bauhaus-Konzept neu zu erfinden, um die Bauaktivitäten zu verändern und die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen.
Katrin Palm
… liebt den Wald und die Stadt gleichermaßen. Sie ist begeistert von der Idee, beides harmonisch miteinander zu verbinden.
Empfohlene Inhalte
Wachstum mit Verantwortung | Fotostory
Mangroven und Moderne Barranquilla: Mangroven und Moderne
Die Hafen- und Industriestadt Barranquilla soll Kolumbiens erste BiodiverCity werden. Über eine Stadt auf dem Weg in Richtung Nachhaltigkeit.
Wachstum mit Verantwortung | Standpunkt
"Bei der Senkung der CO2-Emissionen kommt es auf Städte an" "Bei CO2-Emissionen kommt es auf die Städte an"
Städte nachhaltig zu machen, ist eine enorme Herausforderung. Claire Coustar erklärt, wie die Deutsche Bank dabei unterstützt.
Wachstum mit Verantwortung | Videostory
Smartes Licht für die Stadt der Zukunft Smartes Licht für die Stadt der Zukunft
Stellen Sie sich vor, Sie steuern das Straßenlicht Ihrer Stadt über eine App auf Ihrem Mobiltelefon. In Bad Hersfeld ist das heute schon Wirklichkeit.