„Die Frage ist, ob viele Städte noch bewohnbar sein werden"

Der steigende Meeresspiegel könnte das Leben von Millionen Menschen verändern. Wie können wir eine Katastrophe abwenden? Und wie können Investoren helfen? Markus Müller, Leiter Anlagestrategie der Privatkundenbank, gibt Auskunft.

Warum wir Natur neu denken müssen

Markus, was bedeutet es für Küstenstädte, wenn der Meeresspiegel steigt?

Wenn der Meeresspiegel steigt, müssen Stadtbewohner sich anpassen oder die Stadt verlassen. Die Frage ist, ob viele Städte noch bewohnbar sein werden. Denn die städtische Infrastruktur wird zweifellos in Mitleidenschaft gezogen werden, vor allem Kraftwerke, die sich häufig in Küstengebieten befinden. Denken Sie nur an New York und Miami. Diese Städte können keine großen Wassermassen aufnehmen. Hier wird es sehr wichtig, die Infrastruktur anzupassen.

Wenn der Meeresspiegel steigt, müssen Stadtbewohner sich anpassen oder die Stadt verlassen.

Und es ist nicht nur der steigende Meeresspiegel, der die Städte bedroht...

Das ist richtig. Die Städte werden viel heißer, mit all dem Beton und Stahl. Experten sind sich einig, dass in allen Städten der nördlichen Hemisphäre Temperaturen herrschen werden, die heute 1.000 Kilometer weiter südlich die Norm sind.

Die Städte werden viel heißer, mit all dem Beton und Stahl.

Sie sagen, dass Anpassungsstrategien die Auswirkungen des steigenden Meeresspiegels abfedern könnten. Aber wie?

Es gibt zwei Ansätze: technologiebasierte Lösungen, wie Datenerfassungs- und Überwachungssysteme, und naturbasierte Lösungen. Mangroven und Korallenriffe sind gute Beispiele für naturbasierte Lösungen. Korallenriffe sind natürliche Wellenbrecher, die Wellenenergie absorbieren und vor Überschwemmungen schützen. Mangrovenwälder sind wichtig für den Küstenschutz, da ihre dichten Wurzelkanäle Erde und Sedimente zurückhalten und den Meeresboden anheben.

Welcher dieser Ansätze hilft Städten mehr?

Wir werden wahrscheinlich eine Mischung aus technologiebasierten und naturbasierten Lösungen sehen. Die Stadtplanung wird dabei wichtiger denn je werden. Vor allem, weil wir noch mehr extreme Wetterereignisse und einen weiteren Anstieg des Meeresspiegels erwarten. Naturbasierte Lösungen sind von enormem Wert, aber die Natur braucht Zeit, um sich zu entwickeln. Technologische Lösungen wie Datenerfassungs- und Überwachungssysteme können ihr diese Zeit verschaffen. 

Haben Sie ein konkretes Beispiel dafür?

Wärmere Ozeane und extreme Wetterereignisse schaden Korallenriffen stärker als sie auf natürlichem Wege nachwachsen. Ein Korallenriff braucht mindestens 15 Jahre, um sich zu erholen. Der von der Deutschen Bank aufgelegte „Ocean Resilience Philanthropy Fonds“ unterstützt die Meeres-Forschung. Beispielsweise die Suche nach klimaresistenten Korallenarten. Sie werden in eine Korallen-Genbank aufgenommen. So sollen naturbasierte Lösungen vorangetrieben werden.

Sie sagen, es sind umfangreiche und koordinierte Investitionen erforderlich. Wie kann der Einzelne helfen?

Anleger sollten so investieren, dass sie sich für die Natur engagieren und Klimarisiken vermeiden. Dies wird helfen, ein widerstandsfähiges Portfolio aufzubauen. Wir müssen auf eine positive Art und Weise investieren, um die natürliche Welt zu schützen, die unsere materielle Welt aufrechterhält.

Wir müssen auf eine positive Art und Weise investieren, um die natürliche Welt zu schützen, die unsere materielle Welt aufrechterhält.

Und wie können Banken dabei helfen?

Banken finanzieren die Transformation von Firmen über die Kapitalmärkte und stellen so Geld für soziale und grüne Projekte bereit. So hat die Deutsche Bank beispielsweise über Avanza Credit die Sanierung eines einkommensschwachen Viertels in Madrid finanziert. Durch das Projekt wurde die Energieeffizienz von 36 alten Gebäuden (547 Wohnungen) verbessert, was zu jährlichen Heizkosteneinsparungen von 850 Euro pro Wohnung führte. Dazu wurde ein neuer Park angelegt, um mehr Grünfläche zu schaffen.

Letzte Frage: Haben Sie noch einen Rat für unsere Leser?

Wir müssen von der Natur lernen. Der emeritierte Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Cambridge, Sir Partha Dasgupta, sagt, dass die Natur in alle materiellen Dinge "eingebettet" ist. Wir müssen daher die Natur in alle Bereiche unseres Lebens einbeziehen.

Das Gespräch führte Sarah Stabler.

Markus Müller

Über Markus Müller

Markus Müller ist Global Head des Chief Investment Office bei der Privatbank der Deutschen Bank und Mitglied in deren Group Sustainability Council. Er ist ausgewiesener Experte für die Gestaltung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels.

Neben seiner Tätigkeit bei der Deutschen Bank übt er Lehraufträge an deutschen und anderen Universitäten aus und hat zwei Bücher publiziert. Darüber hinaus hat er sich eingehend mit den ökologischen Triebkräften der Wirtschafts- und Marktentwicklung befasst.

Sarah Stabler

Sarah Stabler

… ist in Australien aufgewachsen und lebt jetzt in Singapur. Die Natur hat ihre Ansichten über ein nachhaltiges Leben und einen behutsamen Umgang mit der Erde stark beeinflusst. In ihrer Tätigkeit in der Kommunikationsabteilung der Deutschen Bank unterstützt sie mit voller Überzeugung die Umstellung auf eine Wirtschaft der Netto-Null-Emissionen.

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