
„In vielen Bereichen betreten wir völliges Neuland“
Elektrojets könnten Reisen radikal verändern und auch den CO2-Ausstoß verringern. Doch noch gibt es Risiken. Wie das Start-Up Lilium damit umgeht und wann die ersten Maschinen starten sollen, erklärt Gründer Daniel Wiegand.
Die Idee ist revolutionär: Einen Elektrojet bauen, der senkrecht abhebt und in kurzer Zeit große Städte miteinander verbindet. Und das zu Preisen eines herkömmlichen Zugtickets. Was nach Science-Fiction klingt, wollen Daniel Wiegand und seine Firma Lilium schon in einigen Jahren schaffen.
Sie sind damit nicht die einzigen, aber während Konkurrenten auf große offene Rotoren über der Kabine setzen, sind bei Lilium 36 kleine elektrische Motoren in den Flügeln des Jets eingebaut. Sie sollen dafür sorgen, dass der Jet senkrecht abhebt und landet.
Mit ihrem ehrgeizigen Plan hat die Firma an der Börse viel Geld eingesammelt. Zuletzt unterschrieb die brasilianische Fluggesellschaft Azul eine Absichtserklärung über den Kauf von 220 Maschinen. Allerdings musste Lilium auch schon Rückschläge wie den Brand eines Testfliegers hinnehmen. Im Winter 2022 will das Start-up das erste Modell des Serienflugzeugs bauen, in drei Jahren die ersten Flüge mit dem 7-Sitzer-Modell anbieten. Dafür muss Lilium noch einige Hürden überwinden.
Sie haben Lilium als Student gegründet. Was hat Sie dazu bewogen, den kühnen Traum vom Bau eines Elektrojets zu verfolgen?
Leidenschaft und der Glaube, damit etwas zu bewegen. Als Ingenieurstudent einer guten Universität kann man auch einen tollen Job in einem großen Unternehmen bekommen. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich das einfach machen muss. Schon als Kind habe ich Modellflugzeuge gebaut, mit 14 Jahren bin ich selbst ein Segelflugzeug geflogen.
Und ich glaube, dass die Luftfahrt eine große Rolle beim Kampf gegen den Klimawandel spielt. Ein neues Hochgeschwindigkeits-Verkehrssystem, das keine zusätzlichen Schienen benötigt, könnte uns enorm voranbringen. Denn unsere Jets werden elektrisch betrieben und stoßen beim Fliegen kein CO2 aus.
Ich glaube, dass die Luftfahrt eine große Rolle beim Kampf gegen den Klimawandel spielt
Verglichen mit anderen Anbietern haben Sie technisch einen sehr komplexen Ansatz gewählt. Warum?
Welcher Ansatz am besten ist, hängt davon ab, worauf es künftig ankommt. Unsere Antriebstechnologie ist viel kompakter als die offenen Propeller der Konkurrenz. Das bedeutet, dass man ein Flugzeug mit einer höheren Passagierkapazität bauen und somit niedrigere Sitzplatzpreise erwarten kann. Wir können auch akustische Dämpfer verwenden und somit leisere Flugzeuge bauen. Dadurch können wir direkt in städtischen Zentren landen. Der Ansatz ist technisch komplexer, aber diese Vorteile werden sich auszahlen, sobald wir in Betrieb sind.
Lilium will Ende 2022 die ersten Serienflugzeuge bauen, in drei Jahren erste Flüge anbieten. Wie ehrgeizig ist das?
Es ist definitiv ein ambitionierter Plan. Aber als Start-up, das in einem kompetitiven Umfeld unterwegs ist, müssen wir ehrgeizig sein. Natürlich gibt es verschiedene Arten von Risiken: Die technische Seite, die Lieferkette, das Geschäftsmodell und so weiter. Wir sehen uns diese Faktoren kontinuierlich an und versuchen Risiken zu minimieren. In vielen Bereichen betreten wir völliges Neuland. Als CEO muss ich sicherstellen, dass alle parallel laufenden Aktivitäten dann zur gleichen Zeit fertig werden.
Als Start-up, das in einem kompetitiven Umfeld unterwegs ist, müssen wir ehrgeizig sein
Mit welcher Einstellung gehen Sie diese Herausforderung an?
Es ist wichtig, Risiken sorgfältig zu managen, aber man muss auch immer darauf schauen, was man gewinnen kann. Man braucht schon eine gewisse Dynamik, um ein völlig neues Geschäftsmodell zu entwickeln. Deshalb sollte man sich nicht nur auf das konzentrieren, was man verlieren kann. Jeder einzelne Mitarbeiter von Lilium ist hier, weil wir eine Mission verfolgen: Wir wollen regionale Flüge nachhaltig machen und neue Verbindungen zu geringeren Kosten anbieten. Wir verfolgen mit unserer Arbeit ein großes Ziel, und dafür kämpfen wir.
Vor einem Jahr brannte ein Testflieger. Wie hat sich das auf Lilium ausgewirkt?
Wer Neuland betritt, riskiert Fehler. Das ist kein Problem, solange man daraus lernt. Die Lehren aus dem Brand waren enorm. Wir sind seitdem als Unternehmen enorm gereift und unsere Lernkurve ist noch steiler geworden.
Die Lehren aus dem Brand waren enorm
Sie sagen also, dass der Vorfall Ihnen geholfen hat?
Natürlich war es ein einschneidendes Ereignis, aber es hat uns in vielerlei Hinsicht geholfen. Für ein Unternehmen, das sich auf eine radikal neue Technologie und ein völlig neues Geschäftsmodell einlässt, ist es wichtig, Fehler schnell zu erkennen und daraus zu lernen. Man muss akzeptieren, dass einige Dinge nicht funktionieren, weitermachen und sie beim nächsten Mal verbessern. Das sind grundlegende kulturelle Eigenschaften, die für ein Start-up wie Lilium wichtig sind.
Mitarbeiter, die vom Wachstum eines Start-ups profitiert haben, sind eher bereit, selbst zu gründen
Letzte Frage: Was sollte sich in der Politik und im Finanzsektor ändern, um mutiges Unternehmertum besser zu unterstützen?
Für Firmen, die bis zu 100 Millionen Euro brauchen, gibt es in Europa gute Finanzierungsmöglichkeiten. Im Bereich zwischen 100 Millionen und einer Milliarde ist es schwieriger. Daneben sollte der Zugang zu staatlichen Forschungszuschüssen einfacher werden. Es gibt viele Programme, aber von der Antragstellung bis zum Erhalt der Gelder vergehen oft zwei Jahre.
Und es sollte bessere Anreize für Mitarbeiter geben, Anteile von ihrer Firma zu kaufen. Mitarbeiter, die vom Wachstum eines Start-ups profitiert haben, sind eher bereit, selbst zu gründen. Das kann einen Schneeballeffekt auslösen.
Über Daniel Wiegand
Daniel Wiegand leitet Lilium als CEO. Schon als Kind war er vom Fliegen begeistert. Als Spezialist für Antriebe leistete er während seines Studiums der Luftfahrttechnik an der Technischen Universität München Pionierarbeit bei der Flugzeugarchitektur von Lilium. Er wurde von der MIT Technology Review zum "Under 35 Innovator of the Year" ernannt.


Susanne Rohde
war schon immer von Unternehmer*innen fasziniert, die den Schritt ins Unbekannte wagen. Sie selbst hat auf vier Kontinenten gelebt und erfahren, dass das Verlassen der Komfortzone gleichermaßen herausfordernd wie bereichernd sein kann. Sie fragt sich: Was braucht es, um eine Vision zum Erfolg zu machen, wenn man geschäftliches Neuland betritt. Welche Faktoren sind die wichtigsten?
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