„Wir stellen die Prozesse unserer Kunden komplett um“
Die Pandemie hat Verzögerungen in Lieferketten verursacht, aber sie ist nicht der einzige Grund für lange Wartezeiten. Das chinesische Unternehmen Prothentic begegnet dem Problem mit künstlicher Intelligenz.
Sie arbeiten mit Firmen aus verschiedenen Branchen. Was ist deren größtes Problem, wenn sie sich an Sie wenden?
Viele Unternehmen haben Schwierigkeiten, ihre Produkte in einer akzeptablen Zeit zu liefern. Egal ob es sich um einen Autohersteller oder ein Möbelhaus handelt: Heutzutage dauert es oft drei bis sechs Monate, bis ein neues Auto oder ein neuer Kleiderschrank nach Eingang der Bestellung an den Kunden geliefert wird. Das ist für die Verbraucher sehr frustrierend und kann dazu führen, dass Bestellungen storniert werden. Dafür gibt es mehrere Gründe, und die Pandemie ist nur einer davon.
Heutzutage dauert es oft drei bis sechs Monate, bis ein neues Auto oder ein neuer Kleiderschrank (…) geliefert wird
Was sind die anderen Gründe?
Einer davon ist die Logistik. Aber am schwierigsten ist es für viele Firmen sicherzustellen, dass es ein reibungsloses Zusammenspiel zwischen den Systemen gibt. Viele unserer Kunden sind bereits hochgradig digitalisiert, aber für jeden Schritt und für jedes Land verwenden sie unterschiedliche Systeme. Oft werden die Informationen nicht schnell genug von einem System zum anderen weitergegeben. Die Frage, warum das so ist, führte nicht zu einer Lösung. Stattdessen gab es Schuldzuweisungen.
Wie löst man dann das Problem?
Wir stellen die Prozesse unserer Kunden komplett um. Die Methode heißt Process Mining. Zunächst zeigen wir den Firmen, wie ihre aktuellen Prozesse aussehen. Das ist ihr digitaler Fußabdruck. Er hilft dabei, das Problem zu identifizieren und zeigt die finanziellen Einsparungen, die der Firma entgehen, weil sie Rechnungen zu spät bezahlt oder Produkte nicht in der vereinbarten Zeit liefert. Da die heutigen Prozesse sehr komplex sind, sind sich viele Manager dessen überhaupt nicht bewusst.
Manager können nun die Folgen jeder Entscheidung im Voraus simulieren
Und welche Rolle spielt die künstliche Intelligenz?
Unsere Anwendung zeigt, wie der Prozess aussieht, vom Eingang der Bestellung bis zur Lieferung. Wenn der Prozess aus zehn Schritten besteht, sagt unsere Lösung voraus, was passieren würde, wenn man einen Schritt oder eine Kombination von Schritten ändert. Manager können diese Informationen nutzen, um die Schritte anzupassen, die den Prozess wirklich verbessern und gleichzeitig zusätzliche Probleme oder Verzögerungen verhindern. Sie können nun die Folgen jeder Entscheidung im Voraus simulieren.
Können Sie dafür ein konkretes Beispiel nennen?
Kürzlich haben wir einem Telekommunikationsunternehmen geholfen, das Probleme mit der Bearbeitung von Kundenanfragen hatte, die sie mit Tickets protokollierten. Im Schnitt brauchten sie pro Anfrage 23 Tage. Inzwischen sind es nur noch 3,5 Tage. Unsere Software zeigte ihnen, wie sie zusammenhängende Tickets erkennen und miteinander verknüpfen. Wir haben auch die Lieferkette eines Automobilherstellers untersucht und die durchschnittliche Lieferzeit von 180 auf 90 Tage gesenkt.
Bei einem Automobilhersteller haben wir die durchschnittliche Lieferzeit von 180 auf 90 Tage gesenkt.
Wie reagieren etablierte Unternehmen, wenn Sie Ihre Methode vorstellen?
Das ist tatsächlich eine große Herausforderung für uns. Process Mining ist ein relativ neues Konzept, das noch nicht sehr bekannt ist. Viele Firmen fragen, ob jemand in ihrer Branche oder zumindest in ihrem Land es bereits ausprobiert hat. Lautet die Antwort nein, sind sie oft skeptisch. Wir müssen dann die Vorteile aufzuzeigen. Das funktioniert am besten mit konkreten Fällen, die zeigen, wie die Methode einen Mehrwert schafft - und wie sie auf ihr Land oder ihre Branche übertragen werden kann.
Was sind Ihre Ziele für die Zukunft?
Wir wollen das beste Process-Mining-Unternehmen in China werden und unsere Dienstleistungen weiteren Branchen anbieten. Es gibt viele Unternehmen, die von unserer Methode profitieren könnten und die noch nicht einmal davon gehört haben. Ich kann mir vorstellen, dass wir in Zukunft auch in der Medizintechnik, der Bankenbranche oder im Immobiliensektor tätig werden. Und wer weiß, was noch folgen wird?
Es gibt viele Unternehmen, die von unserer Methode profitieren könnten und die noch nicht einmal davon gehört haben
Über Qiang Suo
Qiang Suo ist der CEO von Prothentic und hat einen Master-Abschluss in Informatik von der Universität Hannover in Deutschland. Er begann vor sechs Jahren in Deutschland im Bereich Process Mining zu arbeiten und ist einer der ersten Process-Mining-Praktiker der Welt.
Mit seiner großen Erfahrung in diesem Bereich und seiner Leidenschaft für Prozessintelligenz ist er entschlossen, diese wertvolle Technologie nach China zu bringen, um die dortigen Unternehmen bei ihrer digitalen Transformation zu unterstützen.
Über Prothentic
Prothentic wurde 2019 gegründet und hat in weniger als einem Jahr drei Finanzierungsrunden abgeschlossen. Seine Digital Footprint Process Mining-Technologie hat Unternehmen aus einer Reihe von Branchen angezogen und hilft ihnen, ihre Prozesse zu verbessern und ihre digitale Transformation zu unterstützen. Prothentic begann als kleines Start-up mit nur drei Mitarbeitern und ist heute ein schnell wachsendes Unternehmen mit fast 100 Mitarbeitern.
Über Process Mining
Process Mining (PM) ist ein visueller Ansatz zur Analyse und Überwachung von Prozessen. Es dient dazu, wertvolle Informationen aus vorhandenen Ereignisprotokollen zu extrahieren, um aktuelle Prozessmanagementlösungen zu optimieren.
Kurz gesagt, Process Mining ist eine integrierte Disziplin, die die Bereiche Data Mining, maschinelles Lernen, Prozessmodellierung und Analytik umfasst.
Als neue Technologie bietet Process Mining den Unternehmen praktische Werkzeuge zur Kostensenkung und Effizienzsteigerung.
Georg Berger
… interessiert, welches Potenzial in KI steckt und was sie ermöglichen könnte. Gleichzeitig fragt er sich, welche Risiken diese Technologie mit sich bringt und wie man ihnen klug begegnen kann.
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